8 42 Charakter der Staatsangehörigkeit. 257
dem in England herrschenden Sprachgebrauche uns alle Untertanen
nennen, insofern wir untertan sind dem Gesetze, untertan dem großen
Gemeinwesen, das wir Staat nennen, vor allem aber untertan dem
Fürsten, der an der Spitze des Staates steht.“ Der Gebrauch des
Wortes „Untertan“ ist auch nicht ausgeschlossen durch Erlaß der Ver-
fassungsurkunde. Sie hat zwar den einzelnen zahlreiche politische
Befugnisse verliehen, diese sind aber keine wesentliche Eigenschaft eines
jeden Staatsangehörigen. Denn diese politischen Befugnisse stehen nicht
allen Staatsangehörigen, nicht einmal allen verfügungsfähigen, zu, sie
hören aber auch auf, sobald sich jemand ins Ausland begibt, während
das Untertanenverhältnis in diesem Falle völlig unberührt bleibt.
Die Einführung der Verfassungsurkunde hat also den Charakter des
Untertanenverhältnisses in keiner Weise verändert.
Gänzlich unberechtigt ist dagegen der von einer gewissen poli-
tischen Richtung vorgeschlagene und auch zum Teil in die Sprache
der Gesetzgebung übergegangene Ausdruck „Staatsbürger“. Er bedeutet
einen inneren Widerspruch, da mit „Bürger“ in der ständischen
Rechtsordnung und nach heutigem Sprachgebrauche nur eine einzige
Klasse der Staatsangehörigen bezeichnet wurde, nämlich die Ange-
hörigen der städtischen Gemeinwesen, Staatsangehörige aber nicht nur
die Bürger sind. Das Entstehen dieses Ausdruckes haben zwei Um-
stände bewirkt.
Der Ausdruck ist entstanden in einer Zeit, wo die französische
Bourgeoisie im völligen Gegensatze zur bestehenden ständischen Rechts-
ordnung die Herrschaft im Staate an Stelle der privilegierten Stände
für sich in Anspruch nahm. Die philosophischen Schriften, nament-
lich Rousseau und Sieyes, führten daher aus, daß die pri-
velegierten Stände keine Berechtigung hätten, und der Tiers-éat, in
dem die städtische Bevölkerung vertreten war, allein die Nation ausmache.
Staatsangehöriger und Bürger wurden daher gleichbedeutende Begriffe.
Eine scheinbare Rechtfertigung fand diese Gleichstellung in dem
Vorbilde der republikanischen Stadtstaaten des Altertums. Da hier
jede Stadt einen Staat bildete, so war natürlich jeder Staatsange-
hörige Bürger und umgekehrt. Ihrer republikanischen Form wegen
mußte diese antike Staatsauffassung Anklang gewinnen in der Zeit
einer radikalen Umwälzung von unten, unbekümmert um den ge-
waltigen Fortschritt, den die moderne Staatsidee im Vergleiche zur
antiken gemacht hatte.
Bornhak, Hreußlschee Staaterecht. I. 2. Kukl. 17