264 Das Verfassungsrecht. 8 44
werben kann, ohne die alte aufzugeben, ist eine mehrfache Staats-
angehörigkeit möglich, die auf die Nachkommen vererbt wirdö). Inner-
halb des Reiches entstehen dadurch keine rechtlichen Schwierigkeiten,
da die Wehrpflicht dem Reiche geleistet wird, Steuerpflicht und per-
sönliche Dienste regelmäßig von der Staatsangehörigkeit unabhängig
sind. Tatsächlich werden die Zweifel, wie viele Staatsangehörigkeiten
jemand besitzt, immer größer. Der gleichzeitige Besitz der Reichs-
angehörigkeit und einer fremden Staatsangehörigkeit kann dagegen
Konflikte herbeiführen, deren Lösung dem Völkerrechte angehört:).
§ 44. Erwerb der Neichs= und Staatsangehörigkeitt).
Unerörtert bleiben hier die völkerrechtlichen Voraussetzungen,
unter denen bei Gebietsveränderungen ein Wechsel in der Staats-
angehörigkeit eintritte).
Die preußische Verfassungsurkunde Art. 3 besagt: „Die Verfassung
und das Gesetz bestimmen, unter welchen Bedingungen die Eigen-
schaften eines Preußen und die staatsbürgerlichen Rechte erworben,
ausgeübt und verloren werden.“ Diese Bestimmung ist gegenwärtig
hinfällig geworden, da Art. 4 Nr. 1 der Reichsverfassung die Gesetz-
gebung über das Staatsbürgerrecht für das Reich in Anspruch nimmt,
und dieses von jener Befugnis durch Erlaß des mehrerwähnten Ge-
setzes vom 1. Juni 1870 und die Novellen zu ihm insbesondere E. G.
Art. 41 zum B. G.-B. Gebrauch gemacht hat. Der Erwerb und Ver-
lust der Reichs= und Staatsangehörigkeit regelt sich daher gegenwärtig
lediglich nach den Normen des Reichsrechtes.
Hiernach wird die Reichs= und Staatsangehörigkeit begründet
entweder von Rechts wegen durch familienrechtliche Verhältnisse oder
durch einen besonderen staatlichen Verleihungsakt.
c) Vgl. Falcke, Ueber gleichzeitige Staatsangehörigkeit in
mehreren deutschen Bundesstaaten, Leipzig 1888.
7) Vgl. v. Bodmann, Die Rechtsverhältnisse der sog. Sujets mixrtes
im Archiv für öffentl. Recht, Bd. 12 (1897), S. 200 ff., 317 ff.
1) Vgl. Cahn, Das Reichsgesetz über die Erwerbung und den
Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870, 2. Aufl.
Berlin 1896; Astmann, desgl. Mühlheim 1897; Rauchaltes, desgl.
Ansbach 1901; Grill, desgl. 2. Aufl., München 1901.
2) Vgl. Curtius, Ueber Staatsgebiet und Staatsangehörigkeit im
Archiv für öffentl. Recht, Vd. 9 (1894), S. 1 ff.