Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 44 Erwerb der Reichs- und Staatsangehörigkeit. 267 
II. Im Gegensatze zu diesen familienrechtlichen Erwerbsarten, bei 
denen sich die Begründung der Staatsangehörigkeit von Rechts wegen 
ohne einen Akt der Staatsgewalt vollzieht, steht die staatliche Ver- 
leihung der Staatsangehörigkeit. Sie ist ein einseitiger Akt der Staats- 
gewalt. Zwar darf die Staatsgewalt die Verleihung nicht gewähren 
gegen den Willen des zu Naturalisierenden oder Aufzunehmenden. 
Aber es wäre falsch, aus dieser Tatsache auf einen zweiseitigen Akt, 
einen staatsrechtlichen Vertrag, zu schließens). Ein Vertrag ist nur 
möglich, wo beide Vertragschließende sich als gleichberechtigte Faktoren 
gegenüberstehen, also auf dem Gebiete des Privatrechtes oder des Völker- 
rechtes. Diese Gleichstellung fehlt aber bei staatsrechtlichen Akten. 
Wo der eine Teil nur der herrschende, der andere Teil nur der ge- 
horchende ist, da ist der Vertrag unmöglich. Allerdiugs soll die 
Staatsangehörigkeit niemandem gegen seinen Willen verliehen werden. 
Den Erwerbsgrund bildet aber nicht die durch Nachsuchung und Ver- 
leihung oder durch Verleihung und Annahme der Verleihungsurkunde 
hergestellte Willensübereinstimmung, sondern einzig und allein der 
Verleihungsakt, für den die Willensübereinstimmung des Beliehenen 
nur eine Voraussetzung isto). 
Die praktische Folge der Verwerfung des Vertragsstandpunktes 
liegt darin, daß, wenn etwa entgegen der als rein instruktionell auf- 
zufassenden Vorschrift des Gesetzes jemandem die Staatsangehörigkeit 
ohne oder gegen seinen Willen verliehen wäre, der Betreffende bis zur 
Rückgängigmachung des Verleihungsaktes durch Entlassung Inländer 
wäret). Die unter Nichtbeobachtung der gesetzlichen Voraussetzungen 
einmal erteilte Verleihung selbst kann also nicht rückgängig gemacht 
5) So z. B. Laband, St.-R. des Deutschen Reiches, Bd. 1, 
S. 153; ebenso Seydel, Bayerisches St.--R., Bd. 1, S. 526, N. 1, der 
nur da keinen Vertrag annimmt, wo ein gesetzlicher Anspruch auf Ver- 
leihung besteht, weil hier die freie Willensübereinstimmung fehle. Gegen 
die Vertragstheorie G. Meyer 8 V76. 
6) Vgl. O. Mayer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Archiv 
für öffentliches Recht, Bd.LII, S. 1 ff. 
7) So auch Seydel in Hirths Annalen a. a. O. und Vayer. 
St.-R., Bd. 1, S. 527, im Widerspruche mit seiner Vertragstheorie; v. 
Rönne-Zorn, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 615, N. 1; G. Meyer, Deut- 
sches Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 43; dagegen Landgraff in Hirths 
Ann. 1876, S. 1028; v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Ver- 
waltungsrechtspflege 1880, S. 461.
	        
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