Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 69 Wesen der Volksvertretung. 387 
delt sich um eine gesetzliche Vertretung kraft öffentlichen Rechts. Ver- 
tretung bedeutet hier nicht die Abhängigkeit der Willensäußerung des 
Vertreters von dem Willen des Vertretenen. Nicht einmal das Amt 
des Vertreters ist abhängig von dem Willen des Vertretenen. Ganz 
klar ist dies bei den Mitgliedern des Herrenhauses, die ihm erblich 
oder lebenslänglich ohne vorherige Präsentation angehören. Aber auch 
die Abgeordneten werden nur gewählt von der absoluten Mehrheit 
der Wahlmänner ihres Wahlkreises. Gleichwohl vertreten die Mit- 
glieder beider Häuser das ganze Volk. Ihren Ausdruck hat die Ver- 
neinung des privatrechtlichen Begriffes der Vertretung in Art. 83 
der Verfassungsurkunde gefunden: „Die Mitglieder beider Häuser sind 
Vertreter des ganzen Volkes. Sie stimmen nach ihrer freien Ueber- 
zeugung und sind an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden“). 
Die Vertretung im staatsrechtlichen Sinne bedeutet vielmehr die 
Abgabe der Willenserklärung an Stelle der an und für sich staats- 
rechtlich handlungsunfähigen Gesamtheit der Staatsangehörigen. Will 
man unter allen Umständen einen privatrechtlichen Vergleich für dieses 
Verhältnis heranziehen, so ist es nicht die Vollmacht oder der Auf- 
trag, sondern die gesetzliche Vertretung eines Handlungsunfähigen. Ver- 
treter der Volksgesamtheit ist nun sowohl die gesamte Volksvertretung 
wie jedes einzelne Mitglied des Herrenhauses und des Abgeordneten- 
hauses. Welche Bedeutung der Willenserklärung beider Häuser des 
Landtages oder eines einzelnen Mitgliedes zukommt, ist später zu 
crörtern. 
Die Volksvertretung vertritt die Staatsangehörigen. Diese sind 
3) Wenn v. Rönne, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 197, N. 2c, in dem 
Art. 83 der Verfassungsurkunde einen Widerspruch mit der Tatsache 
sieht, daß die Mitglieder des Herrenhauses nicht gewählt seien, und 
meint, diese Bestimmung sei nur aus Versehen stehen geblieben, als man 
ie erste Kammer, ursprünglich eine Wahlkammer gleich der zweiten, durch 
königliche Ernennung zusammensetzen ließ, so verkennt er vollkommen den 
Begriff der Volksvertretung. Er legt hier den privatrechtlichen Begriff 
des Mandates unter. Eine Volksvertretung soll demnach nur durch Wahl- 
gebildet werden können. Daß die bloße Wahl den einzelnen Volks- 
bertreter höchstens zum Vertreter seiner Wähler, nimmermehr aber zum 
ertreter des ganzen Volkes, ja nicht einmal eines einzelnen Wahl- 
reises machen könnte, übersieht v. Rönne vollständig. Gegen Rönne 
zutreffend v. Rönne-Zorn, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 268 N. 4. 
25“
	        
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