Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

438 Das Verfassungsrecht. 8 66 
Diese Frage nach der Kontinnität der Beratungen des Herrenhauses 
bei einer Auflösung des Abgeordnetenhauses beantwortet sich danach, 
welchen rechtlichen Charakter die durch die Auflösung des Abgeordneten- 
hauses notwendig werdende „Vertagung“ des Herrenhauses hat. Die 
eigentliche Vertagung ist eine gleichzeitige Unterbrechung der Tätig- 
keit beider Häuser derart, daß nach Ablauf der Vertagungszeit es 
keiner neuen Berufung bedarf, beide Häuser vielmehr von selbst wieder 
zusammentreten. Die Vertagung im Sinne des Art. 77, Abs. 3 der 
Verfassungsurkunde hat nun schon deshalb eine andere Bedeutung als 
die gewöhnliche Vertagung, weil sie sich nicht wie diese auf beide 
Häuser gleichmäßig erstrecken würde. Mit der Auflösung des Abgeord- 
netenhauses wird aber fernerhin die Sitzungsperiode nicht nur des 
Abgeordnetenhauses, sondern auch des Herrenhauses geschlossen. Dies 
findet seinen Ausdruck darin, daß nach der Neuwahl des Abgeordneten- 
hauses eine neue Berufung beider Häuser des Landtages stattfindet, 
und mit dieser eine neue Legislaturperiode beginnt. Der Anfang einer 
Legislaturperiode muß aber stets mit dem Anfange einer Sitzungs- 
periode zusammenfallen. Nach der Neuwahl beginnt daher stets eine 
neue Sitzungsperiode des Landtages. Daß dieses der Fall ist, wird 
sormell anerkannt durch die neue Berufung. Es findet daher keine 
Rechtskontinnität statt zwischen der Tätigkeit des Landtages vor und 
nach Auflösung des Abgeordnetenhauses. Auch das Herrenhaus ist 
genötigt, die vor der Auflösung noch nicht beendeten gesetzgeberischen 
Arbeiten von neuem zu beginnen. Das Wort „Vertagung“, welches 
sonst die Suspension der Tätigkeit unter Wahrung der Rechts- 
kontinuität ausdrückt, ist also hier in einem ganz anderen Sinne, 
in dem von Schließung des Hauses, gebraucht. 
Das Gegenbild der Berufung ist die Schließung des Landtages. 
Diese steht ebenfalls ausschließlich dem Könige zu (Art. 51 V.-U.). 
Die rechtliche Bedeutung der Schließung besteht darin, daß mit ihr 
die beiden Häuser des Landtages aufhören, als politische Körperschaften 
zu bestehen. Mit dem Angenblicke der Schließung sind nur noch 
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rung, als 1862 nach der Auflösung und Neuwahl des Abgeordneten- 
hauses der Vorsitzende des Staatsministeriums das Herrenhaus zur 
„Wiederaufnahme seiner Arbeiten“, das Abgeordnetenhaus zur Konstitnie- 
rung des Hauses aufforderte. Für die Verneinung der Kontinnität 
des Herreuhauses in diesem Falle auch v. Rönne-Zorn, Pr. St.-N., 
Bd. 1, S. 350.
	        
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