Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 69 Die formellen Befugnisse des Landtages. 457 
Ueberweisung und Interpellation und die Veranstaltung einer 
Enquete. 
Alle Beschlüsse, welche sich innerhalb der jedem der beiden 
Häuser des Landtages verfassungsmäßig zugestandenen Autonomie 
halten, sind verbindlich, wenn sie von einem Hause gefaßt sind. Der 
Gegenstand dieser Beschlüsse kann die Bestimmung des Verfahrens 
des Hauses, die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten, z. B. bestrittener 
Wahlen, die Bestrafung von Ordnungswidrigkeiten der Volksvertreter 
und dergleichen mehr sein. 
4. Recht der Adresse. 
Nach Art. 81 der Verfassungsurkunde hat jedes Haus für sich 
das Recht, Adressen an den König zu richten. Politisch mag eine 
Adresse des Hauses an den König von großer Bedeutung sein, 
staatsrechtlich ist sie nichts anderes als ein Brief des Hauses an den 
König. Das „Recht“ der Adresse steht also rechtlich der Befugnis, 
einen Brief zu schreiben und abzuschicken, vollständig gleichy). 
Was Gegenstand der Adresse sein kann, ist in der Verfassungs- 
urkunde nicht gesagt. Es ist daher anzunehmen, daß die Befugnis 
dem Gegenstande nach unbeschränkt ist. Die Adresse kann sich also 
mit dem Gesamtzustande des Landes beschäftigen, wie dies nament- 
lich bei Adressen, die als Antwort auf die Thronrede beschlossen 
werden, der Fall ist, oder einzelne Wünsche und Beschwerden an 
den Thron bringen. 
In betreff der Geschäftsbehandlung beim Beschließen von Adressen 
bestehen in beiden Häusern nach den Geschäftsordnungen verschiedene 
Bestimmungen. Nachdem das Herrenhaus sich darüber schlüssig gemacht 
hat, eine Adresse an den König zu richten, wird zur Vorberatung des 
vorgelegten Entwurfes oder, falls ein solcher nicht vorhanden, zur 
Ausarbeitung eines Adresseentwurfes eine Kommission gebildet, be- 
— 
5) Aus dem „Rechte“ der Adresse folgt keine Pflicht des Königs, die 
Adresse entgegenzunehmen. Aus meinem zweifellosen sogenannten Rechte, 
alle Welt mit Briefen zu behelligen, folgt aber noch keineswegs die Pflicht 
der Adressaten, die Briefe entgegenzunehmen. Eine Pflicht kann nur 
das Korrelat subjektiver Rechte sein, ein solches ist aber weder das 
Recht der Adresse noch mein Recht, Briefe zu schreiben. Anders 
Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches Bd. 1, S. 285, N. 1, 
v. Stengel, Pr. St.-R., S. 83. Gewiß entspricht jedem wirklichen 
Rechte eine Pflicht, aber an dem subjektiven Rechte fehlt es hier eben.
	        
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