162 Das Verfassungsrecht. 8 70
vollziehenden Gewalt unabhängigen Gerichtshöfen zusteht, hat die Ent—
scheidung von Privatrechtsstreitigkeiten unter Privatleuten und die
Verhängung von Strafen wegen Zuwiderhandlungen gegen die straf-
rechtlich geschützte Rechtsordnung zum Gegenstande.
Diese konstitutionelle Lehre von der Teilung der Gewalten in
diesem Sinne ist dem preußischen Staatorechte slets fremd geblieben.
Die Verfassungsurkunde bestimmt nichts darüber, wem die einzelnen
Befugnisse der Slaatsgewalt zustehen, sie beläßt es also bei dem
Hauplgrundsatze des vor Erlaß der Versassungsurkunde geltenden Ver-
fassungsrechtes, dem § 1 II, 13 A. L.-R.: „Alle Rechte und Pslichten
deso Staales gegen seine Bürger und Schutzverwandten vereinigen
sich in dem Oberhaupte desselben.“ Verschieden ist bei den einzelnen
Beläligungen der Staatsgewalt nach preußischem Staatsrechte also nicht
der Träger der Gewall, sondern die Art und Weise der Ausübung.
Das Recht der Gesetzgebung steht dem Könige zu, aber es wird aus-
gelibt mit Zustimmung beider Häuser des Landtages. Der König ist
Inhaber der richterlichen Gewalt, aber er darf sie nur durch unab-
hängige, keiner anderen Antorität als der des Gesetzes unterworfene
Gerichte ausüben lassen.
Bezüglich des dritten Gebietes, welche von der konstitutionellen
Lehre als exekutive oder vollziehende Gewalt, hier als Regierung
bezeichnet wird, würde nun nach obigen Ausführungen die kon-
stitutionelle Lehre und das positive preußische Staatsrecht überein-
stimmen. Denn nach beiden steht die Regierung, dem Rechte wie der
Ausübung nach, voll und ganz dem Könige zu. Hiermit ist aber
nur das formelle Merkmal, die Art und Weise der Ausübung der
Regierung, gegeben. Es fehlt noch die materielle Seite, die Beant-
wortung der Frage, was Gegenstand der Regierung ist. Diese Antwort
richtet sich nach dem Begrisse des Gesetzes. Müssen wirklich, wie die
konstitutionelle Lehre es verlangt, alle Rechtsnormen in der Form
des Gesetzes ergehen, während die richterliche Gewalt besonderen
Organen zusteht, so bleibt tatsächlich für die freie Regierungsgewalt
des Königs nichts anderes übrig, als die Ausführung oder Vollziehung
der Gesetze. Dies ist jedoch nicht der Standpunkt des preußischen
Staatsrechtes. Wie au einer anderen Stelle auszuführen sein wirdt),
ist nach diesem der Begriff des Gesetzes ein wesentlich sormeller. Es
!) Vgl. 8 78.