Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 72 Der Erlaß tatsächlicher Anordnungen. 473 
hältnisse unmittelbar regeln oder zum Erlasse der betreffenden tat- 
sächlichen Anordnungen ermächtigen. Das Staatsrecht derjenigen 
Länder, in denen die logisch unhaltbare und deshalb mit den An- 
forderungen des praktischen Lebens nicht zu vereinigende konstitu- 
tionelle Lehre zur Geltung gelangt ist, muß sich daher entweder mit 
umfassenden Ermächtigungsklauseln helfen oder zu offenbaren Gesetz- 
widrigkeiten, die praktisch unvermeidlich werden, ein Auge zudrücken. 
Das preußische Staatsrecht, welches sich von dem unhaltbaren Aus- 
gangspunkte der Volkssonveränetät fern gehalten hat, befriedigt auch 
hier die Anforderungen der Praxis. 
Die tatsächliche Anordnung kann hiernach im preußischen Rechte 
entweder die Vollziehung von Gesetzen bzw. anderen Rechtsnormen 
oder ein Ausfluß der freien Regierungstätigkeit sein. Es wäre jedoch 
unzutreffend, hieraus einen verschiedenen Charakter der betreffenden 
tatsächlichen Anordnungen herleiten zu wollen. Die Rechtsnorm be- 
fiehlt, daß, wenn ein gewisser tatsächlicher Zustand vorhanden ist, 
aus diesem Grunde ein bestimmter anderer tatsächlicher Zustand her- 
gestellt werden muß. Die Herstellung dieses letzteren, des Folgezu- 
standes, wie man ihn bezeichnen kann, ist Sache der tatsächlichen 
Anordnung. Die freie Regierungsanordnung wird dagegen nicht ge- 
troffen, weil der Wille des Gesetzgebers verwirklicht werden muß, 
sondern aus anderen Gründen der Zweckmäßigkeit oder inneren Not- 
wendigkeit:). Der Unterschied der Vollziehungsanordnung und der 
freien Regierungsanordnung besteht also nur in der verschiedenen 
Absicht des Befehlenden, in dem verschiedenen Zwecke, den er durch 
seine Anordnung erreichen will. Der Beweggrund für die Vornahme 
einer Rechtshandlung, der Zweck, den sie nach Ansicht des Gesetz- 
gebers erfüllen sollte, ist aber ein dem Wesen des Rechtsinstitutes 
durchaus fremdes Moment. Der Charakter der tatsächlichen Anordnung 
bleibt völlig unberührt davon, was sich der Befehlende bei ihrem 
Erlasse dachte. Die Bestimmung der Verfassungsurkunde, daß dem 
Könige die vollziehende Gewalt zusteht, ist hiernach vollkommen gleich- 
gültig. Durch den Art. 45 der Verfassungsurkunde sind freie Regie- 
rungsanordnungen nicht ausgeschlossen, und dem Könige würde die 
Vollziehung zustehen, auch wenn es Art. 45 nicht ausdrücklich sagte. 
2) Beispiele: Königliche Anordnungen betr. Ausfalls der Schule 
wegen Parade oder Schließung der Universität wegen Einzugs einer 
Prinzessin-Braut. 
  
 
	        
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