Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

476 Das Verfassungsrecht. § 73 
auch in dem der konstitutionellen Lehre zweifellos in das Gebiet der 
Regierung oder eines bestimmten Teiles von ihr, der Exekutive oder 
Vollziehung. Gleichwohl wird es mit Vorliebe unter der Gesetz- 
gebung behandelt, indem man von den zwei falschen Voraussetzungen 
ausgeht, daß die Ausführungsverordnung ohne weiteres Rechtsnormen 
enthalten könne, und daß alle Rechtsnormen Gesetze wären, es sich 
also bei Erlaß der Ausführungsverordnungen um ein dem Könige 
delegiertes Gesetzgebungsrecht handele. 
Dem Könige steht das Recht und die Pflicht zu, die Gesetze aus- 
zuführen, d. h. ihre Durchführung zu sichern, soweit zu diesem Zwecke 
noch besondere Anordnungen erforderlich sind. Diese Anordnung kann 
für einen einzelnen Fall oder für eine Mehrheit von Fälle ergehen, 
ohne daß ihr rechtliches Wesen dadurch verschieden würde. 
Es sind mehrere Möglichkeiten denkbar, nach denen sich der 
Charakter der Ausführungsverordnung verschieden bestimmt. Entweder 
das Gesetz, zu dem die Ausführungsverordnung ergehen soll, behält 
die Regelung gewisser Rechtsverhältnisse ausdrücklich einer königlichen 
Verordnung vort), oder die Ausführungsverordnung regelt keine 
Lebensverhältnisse, ist jedoch nolwendig oder wünschenswert, um das 
Gesetz durchzuführen, oder sie will es endlich bloß auslegen. 
I. Die Ausführungsverordnung kann Rechtsvorschriften ent- 
halten (Vorbehaltene oder delegierte Ausführungsverordnung). In 
diesem Falle ist das materielle Geltungsgebiet des Gesetzes unbeschränkt. 
Das Gesetz gibt zwar eine Nechtsnorm, diese berührt jedoch einzelne 
Lebensverhältnisse nicht und überläßt deren Regelung einer königlichen 
Verordnung entweder unbeschränkt oder unter Angabe gewisser leitenden 
Gesichtspunkte, welche die Verordnung beobachten muß. Hier gibt die 
Verordnung selbst die Rechtsnorm. Soweit sie sich innerhalb der 
gesetzlichen Schranken hält, ist sie rechtsgültig gleich allen anderen 
Verordnungen, welche Rechtsnormen enthalten. Zu ihrer Verbindlich- 
keit bedarf es allerdings nach Art. 106 der Verfassungsurkunde noch 
der Verkündigung. Diese durch die Ausführungsverordnung gegebene 
Rechtsnorm ist für alle Staatsangehörigen verbindlich, muß von allen 
Behörden zur Durchführung gebracht werden. Wenn nach Art. 86 
4) Hierfür hat sich nach dem Vorgange Gueists der Ausdruck 
„vorbehaltene Verordnung“ bereits eingebürgert. Vgl. Gueist in 
v. Holtzendorffs Nechtslerikon S. 1062 ff.; Arndt, Das Verord- 
nungsrecht des Deutschen Reiches, Berlin und Leipzig 1884, S. 10.
	        
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