Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

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§ 77 Geschichtliche Entwicklung des Gesetzesbegriffes. 50 
im materiellen Sinne. Dieser materielle Gesetzesbegriff des deutschen 
Rechtes äußerte nur insofern eine mittelbare Wirkung auf die Fort- 
bildung des Rechtes, als er einseitige königliche Verordnungen über 
Gegenstände, die in das Gebiet des Gesetzes fielen, ausschloß. 
Diese ältere deutsche Auffassung erhielt sich bis tief in das Mittel- 
alter hinein. Selbst nachdem die Landesherren allmählich das Band 
der Reichsgewalt gelockert, und sich aus den einzelnen Teilen des 
Reiches neue staatenähnliche Gebilde entwickelt hatten, wurde der ger- 
manische Gesetzesbegriff auf die deutschen Gebiete übertragen. Als 
auf dem Reichstage zu Worms von 1231 zweifelhaft geworden war, 
ob die deutschen Landesherren neues Recht schaffen könnten, erging 
am 1. Mai 1231 in der Form eines Weistums, also nur als Aus- 
druck längst geltender Rechtsüberzeugungen, eine Urkunde König Hein- 
richs. Sie erkannte das Recht der Fürsten zur Schaffung neuen 
Rechtes an, jedoch nur dann, wenn diese fürstlichen Anordnungen 
die Zustimmung der Großen des Landes erhalten hattens). 
Diese Versammlungen der Großen, der letzte Rest der alten 
Volksgemeinden, gingen jedoch seit Eude des 13. und Anfang des 
14. Jahrhunderts fast überall in die landständischen Versammlungen, 
die Vereinigungen sämtlicher Ortsobrigkeiten des Landes, über. Die 
Notwendigkeit der Bildung landständischer Versammlungen hatte sich 
ergeben, weil der größere Grundbesitz und die städtischen Gemeinden 
fast in dem ganzen Umfange der Gebiete die Ortsverwaltung an 
sich gerissen hatten, der Landesherr also abgesehen von seinen Do- 
mänenämtern keine anderen Organe zur Ausführung seines Willens 
besaß als die Ständes). Ueber neue Maßregeln, die der Landes- 
herr durchgeführt wissen wollte, mußte er sich daher vorher mit den 
Ständen ins Einvernehmen setzen. Dies galt nun nicht nur für Ab- 
änderungen der bestehenden licxr im altdeutschen Sinne, des Privat-, 
Straf= und Prozeßrechtes, sondern auch für bloße Anordnungen be- 
tressend die Verwaltung, welche früher der Landesherr einseitig er- 
lassen hatte. Zu Abänderungen des Privat-, Straf= und Prozeß-= 
rechtes hatten die Stände als Nachfolger der alten Volksgemeinden, 
— — — 
8) Vgl. Eichhorn, Deutsche Staats= und Rechtsgeschichte, Bb. 2, 
S. 215: „Super qua re requisito Consensu principum kuit taliter diffinitum. 
Ut neque Principes neque alil quilibet constitutiones vel nova jura faccre 
DPossint nisi meliorum et majorum terre consensus primilus habealur“. 
9) Vgl. 8 68.
	        
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