Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

5 
12 Das Versassungsrecht. 877 
verschwunden wie die der späteren Landstände. Gleichwohl unterliegt 
auch jetzt noch das Gesetzesrecht nicht der willkürlichen Abänderung 
des Landesherrn. Aber an die Stelle der früheren repräsentativen 
Körperschaften ist die notwendige beratende Mitwirkung des Parla— 
mentes des absoluten Beamtenstaates, der Gesetzkommission, getreten. 
Allein nicht nur die geschichtliche, sondern auch die rein erege- 
tische Behandlung der landrechtlichen Gesetzesdefinition führt zu dem- 
selben Ergebnisse. Es fragt sich zunächst, was unter den besonderen 
Rechten und Pflichten zu verstehen ist. Sie sind jedenfalls nicht das- 
selbe wie Privatrechte und Privatverbindlichkeiten. Denn es gibt solche 
besondere Nechte und Pflichten auch auf dem Gebiete des össentlichen 
Nechtes. Die besonderen Rechte und Pflichten werden vielmehr in 
Gegensatz gestellt zu den gemeinen Rechten. Den Gegensatz zu diesem 
kann nun hier nicht das zur Zeit des A. L.-R. mit dem gemeinen 
Nechte staatsrechtlich ganz gleich behandelte Partikularrecht, sondern nur 
das Sonderrecht einzelner Klassen von Untertanen, das ständische 
Recht sein. Ueber die Bedeutung des Ausdruckes „gemeine Rechte“ 
herrschte zur Zeit des Erlasses des A. L.-N. nicht der geringste 
Zweisel. Es sind die fremden Rechte und die Reichsgesetze, an deren 
Stelle nunmehr die allgemeinen Gesetzbücher treten. Gegenstand der 
gemeinen Rechte ist das Privat-, Straf= und Progeßrecht nebst den in 
die neuen Gesetzbücher ausgenommenen staats und verwaltungsrecht- 
lichen Bestimmungen. Die Rechtsnormen des Staatsrechtes, besonders 
des Verwaltungsrechtes, beruhen also grundsätzlich nicht auf Gesetzen, 
sondern auf Verordnungen. 
Mit diesem in Preußen bis zum Jahre 1818 verfassungomäßig 
seststehenden Gesetzesbegriffe kreuzte sich nun aber derjenige der kon- 
stitutionellen Lehre. Diese ging aus von der Volkssouveränetät und 
der Teilung der Gewalten. Alle Gewalten hatten ihren Ursprung 
in der Nation, waren aber auf verschiedene staatliche Träger verteilt. 
Der Erlaß von Rechtsnormen gehörte in das Gebiet der gesetzgeben- 
den Gewalt, die dem Könige und den Kammern zustand, die Ausfüh- 
rung dieser Normen war Sache der Vollziehung, welche dem Könige 
überlassen blieb. Der Begriff des Gesetzes war hiernach gleichzeitig ein 
materieller — Inhalt des Gesetzes war jede Rechtsnorm — und ein for- 
meller — die Rechtsnorm ging aus von dem Könige und den Kam- 
mern —. Diese Auffassung lag u. a. auch der belgischen Verfassung 
zugrunde. Als man diese im ganzen und großen für Preußen über-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.