Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 78 Das Wesen des Gesetzes. 515 
hat sie eine grundsätzliche Anordnung darüber, was Gegenstand des 
Gesetzes sein solle, nicht gegeben. Art. 62 der Verfassungsurkunde 
besagt nämlich: 
„Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König 
und durch die beiden Häuser des Landtages, das Herrenhaus und das 
Haus der Abgeordneten, ausgeübt. 
Die Uebereinstimmung des Königs und beider Häuser des Land- 
tags ist zu jedem Gesetze erforderlich.“ 
Man hat nun freilich in diesem Verfassungsartikel nicht nur eine 
formelle, sondern auch eine materielle Begriffsbestimmung sehen wollen. 
Als Grund dafür gibt man an, daß der Art. 62 in seinen beiden 
Sätzen sonst völlig tautologisch sein würde. Er würde besagen: „Kein 
Gesetz kann ohne Zustimmung der Kammern zustande kommen und, 
was mit Zustimmung der Kammern zustande kommt, ist Gesetzz). 
Diese Tautologie ist jedoch tatsächlich gar nicht vorhanden. Der 
Art. 62 besagt in seinem ersten Satze, daß die Ausübung des Rechtes, 
Gesetze zu erlassen, dem Könige und beiden Häusern des Landtages 
zusteht, in seinem zweiten, wie die Ausübung zu erfolgen hat, nämlich 
durch Uebereinstimmung aller drei Faktoren, so daß also nicht etwa 
zwei Faktoren den dritten überstimmen können, oder eine mehr- 
malige Beschlußfassung der Kammern selbst gegen den Willen des 
Königs genügts). Der Begriff des Gesetzes wird hiernach lediglich 
— 
den Einzelheiten geteilt von Gneist, Arndt, v. Stengel. 
Sie beherrscht die Praxis unbedingt, wie dies namentlich Arndt nach- 
gewiesen hat. Die entgegengesetzte, früher herrschende Ansicht kann 
jetzt als überwunden betrachtet werden, wenn sie auch noch von einigen 
rückständigen Theoretikern vertreten wird. 
2) So nach dem Vorgange Stockmars Laband, Budgetrecht, 
S. 10; H. v. Schulze-Gaevernitz, Pr. St.-R., Bd. 2, S. 18; 
Seligmann, S. 115. Auch Anschütz S. 28 kommt damit noch 
einmal an. 
3) Suspensives Veto!l Da der Kommissionsentwurf der National- 
versammlung dieses enthielt, so erklärt sich der Art. 62 der Verfassungs- 
urkunde ganz natürlich aus dem Gegensatze dazu. Art. 62 bedeutet keine 
Tautologie, sondern, um die konstitutionelle Phraseologie zu gebrauchen, 
das absolute Veto des Königs. Diese aus der Entstehungsgeschichte 
des Art. 62 sich mit Notwendigkeit ergebende Bedeutung wird geflissent- 
lich übersehen durch die aus einer staatsrechtlichen Schrift in die andere 
sich fortschleppende Behauptung von der angeblichen Tautologie. 
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