8 78 Das Wesen des Gesetzes. 521
liche Formen, nämlich die Zustimmung des Landtages, gebunden, ohne
welche die Willensäußerung gar nicht den Charakter einer staatlichen hat.
Diesem Rechtsverhältnisse entspricht auch heute noch die Eingangs-
sormel aller Gesetze. Sie heißt nicht: „Wir, König und beide Häuser
des Landtages, wollen“, wie es notwendig heißen müßte, wenn
nicht nur die Ausübung, sondern auch das Recht der Gesetzgebung
dem Könige und dem Landtage gemeinschaftlich zuständeto). Die
Eingangsformel lautet vielmehr stets: „Wir, der König, verordnen
mit Zustimmung beider Häuser des Landtages.“ Diese dem wahren
sechtsverhältnisse entsprechende Formel hat auch nie die geringste An-
fechtung von irgend einer Seite erfahren.
Die Wirkung des Gesetzes ist die sogenannte formelle Gesetzeskraft,
d. h. die Unverbrüchlichkeit des Gesetzes bis zu seiner Abänderung oder
Aufhebung durch Gesetz. Das Gesetz kann nur in derselben Weise
ganz oder teilweise aus der Welt geschafft werden, in des es ent-
standen ist. Mit Unrecht ist diese formelle Gesetzeskraft neuerdings
unter Hinweis darauf bestritten worden, daß Gesetze auf Grund einer
Ermächtigung auch durch einseitige Regierungsbeschlüsse außer Kraft
gesetzt, und die Abänderung der Verordnung im Wege des Gesetzes
vorbehalten werden könnei). Schon das Zugeständnis, daß die
Abänderung des Gesetzes durch Verordnung nur auf Grund einer
Ermächtigung durch die Gesetzgebung erfolgen darf, weist darauf hin,
daß es sich um eine Abänderung durch Gesetz handelt. Denn indem
das Gesetz zum Treffen einer Anordnung ermächtigt, trifft es eben diese
Anordnung. Umgekehrt kann der Erlaß einer Verordnung durch die
Gesetzgebung ermächtigt sein mit der Wirkung, daß die Abänderung
der-Verordnung nur durch Gesetz erfolgen darfis). Auch hier ist die
Verordnung an die Stelle des Gesetzes getreten, und wenn die Ab-
änderung der Verordnung einem Gesetze vorbehalten wird, so liegt
darin bloß eine gesetzliche Beschränkung des Rechtes der Ausführungs-
verordnung im einzelnen Falle. Würde dagegen der König in einer
—
10) So in Belgien: „Les chambres ont adopté et nous sanctionnons ce
qui sui“, in Italien: „II senato e la Camera dei Deputati hanno approvato;
Noi abbiamo sanzionato e promulghiamo quanto segue“. Vgll. Jellinek,
Gesetz und Verordnung, S. 313, N. 1.
11) Seligmann, Begriff des Gesetzes, S. 21.
12) Gesetz vom 12. Oktober 1854 wegen Bildung der ersten Kammer!