Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 79 Der Geschäftsgang bei Erlaß der Gesetze. 525 
Wiedereinbringung unmöglich zu machen, daß der Entwurf von einem 
Hause genehmigt worden ist. Für erstere Ansicht hat man nur den 
Zweck der gesetzlichen Bestimmung vorzubringen vermocht. Dieser soll 
darin bestehen, beständige Beunruhigungen der Regierung oder der 
politischen Körperschaften mit derselben Sache, die bereits einmal ab- 
gelehnt worden ist, zu vermeidens). Es kann davon abgesehen werden, 
ob dies wirklich der Zweck der gesetzlichen Bestimmung ist. Jedenfalls 
kann für die Rechtsanwendung niemals der Zweck, sondern nur der 
Juhalt des Gesetzes entscheidend sein. Dieser steht aber mit der er- 
erwähnten ersten Ansicht in vollständigem Widerspruche. Nach Art. 64 
Abs. 1 der Verfassungsurkunde haben der König wie jedes der beiden 
Häuser des Landtages, nicht also jeder beliebige Volksvertreter, das 
Recht, Gesetze vorzuschlagen. Bringt ein einzelner Abgeordneter einen 
Gesetzentwurf ein, so ist dies gar kein Gesetzvorschlag, sondern nur 
der Antrag zu einem solchen, und lehnt das Haus, dem der Antrag- 
steller angehört, den Entwurf ab, so kommt ein Gesetzvorschlag gar 
nicht zustande. Ein Gesetzvorschlag ist also erst dann vorhanden, wenn 
das Haus selbst einen Beschluß faßt, der den Gesetzentwurf genehmigt. 
Nur ein solcher Gesetzvorschlag soll, wenn ihn der König oder das 
andere Haus verwirft, in derselben Sitzungsperiode nicht wieder ein- 
gebracht werden. Ebensowenig kann aber ein vom Könige einge- 
brachter und von einem der beiden Häuser verworfener Gesetzvorschlag 
im Laufe derselben Sitzungsperiode wieder zur Beratung gelangen. 
Bezüglich der von der königlichen Staatsregierung ausgehenden 
Gesetzentwürfe ist es nun bestritten, ob sie beiden Häusern gleich- 
zeitig vorgelegt werden können oder einem Hause zuerst vorgelegt 
werden müssen. Für beide Ansichten hat man sich auf Bestimmungen 
der Verfassungsurkunde berufen. Für die erste Ansicht hat man die 
Ausnahmebestimmung des Art. 62 Abs. 3 der Verfassungsurkunde 
angeführt, wonach Finanzgesetzentwürfe und Staatshaushaltsetats zu- 
erst dem Abgeordnetenhause vorgelegt werden müssen. Nun folgert 
man: Wenn in diesem Ausnahmefalle die Vorlegung an ein Haus 
zuerst erfolgen soll, so ist die Regel, daß die Vorlage auch an beide 
Häuser gleichzeitig erfolgen darfe). Allein das Wesentliche der Be- 
— — 
5) So v. Rönne, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 358. 
6) Dies war die Ansicht der königlichen Staatsregierung nach den 
Sten. Ber. 1852—1853, BVd. 1, S. 147.
	        
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