532 Das Verfassungsrecht. 8 80
8 80. Die Gegenstünde der Gesetzgebung.
Was den Gegenstand der Gesetzgebung bildet, ist eine viel be—
strittene Frage des preußischen Staatsrechtes.
Die ältere Auffassung wollte aus Art. 62 der Verfassungsurkunde
entnehmen, daß der Erlaß aller Rechtsnormen von Staats wegen der
Gesetzgebung vorbehalten sei (vgl. 8 78). Allenfalls ließ man daneben
seit Gneist und Laband noch bloß formelle Gesetze zu. Diese Ansicht
kann jetzt als erledigt gelten.
Aber auch unter den Vertretern des rein formellen Gesetzes—
begriffs herrscht keine Uebereinstimmung über den Gegenstand der
Gesetzgebung. Gneist wollte alles als Gesetz ansehen, was in der
Gesetzsammlung verkündet war, blieb dabei aber nicht folgerichtig,
da er zugeben mußte, es seien auch Anordnungen ohne Gesetzes—
charakter, z. B. die Verordnung vom 27. Oktober 1810 über die
obersten Staatsbehörden, in der Gesetzsammlung, verkündet. Arndt
neigte anfangs der Gneistschen Ansicht zu, legte aber später dar, daß
die Verfassungsurkunde kafuistisch die Gegenstände der Gesetzgebung
aufgezählt habe. Dabei kommt er schon mit dem Privatrechte —
zweifellos einem Gegenstande der Gesetzgebung — in Schwierigkeit.
Die Verfassungsurkunde hat aber eine solche Aufzählung gar nicht
beabsichtigt, da man bei ihrer Abfassung die konstitutionelle Lehre
vom Gesetze als selbstverständlich annahm.
Da aus der Verfassungsurkunde eine allgemeine Regel über die
Gegenstände der Gesetzgebung nicht zu entnehmen ist, so ist grundsätz-
lich davon auszugehen, daß die Verfassungsurkunde in dieser Be-
ziehung das geltende Recht unberührt gelassen habe. Das zur Zeit
des Erlasses der Verfassungsurkunde geltende Recht ist nun aber ent-
halten in § 7 Einl. A. L.-R., welches als verfassungsrechtliche Be-
stimmung im ganzen Staatsgebiete Anspruch auf Geltung hat. Hier-
nach ist Gegenstand der Gesetzgebung, welche in besonderen Formen
unter Zuziehung der Gesetzkommission ausgeübt wurde, die Bestim-
mung der besonderen Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen
sowie Abänderung, Ergänzung oder Erklärung der gemeinen Rechte.
Bereits an einer anderen Stelle wurde hervorgehoben, welcher Sinn
dieser Bestimmung des A. L.-R. beizulegen istl). Es fragt sich nun-
1) Vgl. 8 77.