Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

l 81 Königliche Verordnungen mit Gesetzeskraft. 539 
nicht versammelt sind, können in dringenden Fällen unter Verant- 
wortlichkeit des gesamten Staatsministeriums Verordnungen mit 
Gesetzeskraft erlassen werden; dieselben sind aber den Kammern bei 
ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.“ 
Bei der Revision der oktroyierten Verfassungsurkunde wurde jener 
Satz aus den allgemeinen Bestimmungen an seinen gegenwärtigen 
Platz unter die von der Gesetzgebung handelnden Artikel gestellt und 
erhielt als Art. 63 die später nur durch die neue Benennung der 
Volksvertretung geänderte Fassung, welche gegenwärtig lautet: 
„Nur in dem Falle, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen 
Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes es 
dringend erfordert, können, insofern die beiden Häuser des Landtages 
nicht versammelt sind, unter Verantwortlichkeit des gesamten Staats- 
ministeriums Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, 
mit Gesetzeskraft erlassen werden. 
Dieselben sind aber den beiden Häusern des Landtages bei ihrem 
nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.“ 
Die Voraussetzungen, unter denen der Erlaß königlicher Verord- 
nungen mit Gesetzeskraft zulässig ist, sind demnach die, daß die Auf- 
rechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines 
ungewöhnlichen Notstandes es dringend erfordert, und daß die beiden 
Häuser des Landtages nicht versammelt sind. Wann ein solches drin- 
gendes Erfordernis zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit 
oder zur Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes vorliegt, ist 
eine rein politische Frage, die sich der staatsrechtlichen Erörterung 
entzieht. Darüber zu urteilen, ob im einzelnen Falle das dringende 
Erfordernis zum Erlasse der Notverordnung besteht, ist selbstverständ- 
lich Sache des Königs, der die Verordnung erläßt, und des Staats- 
ministeriums, unter dessen Verantwortlichkeit sie erlassen wird. 
Es könnte sich nur fragen, ob nachträglich bei der Vorlage der 
Verordnung an den Landtag diesem ein Urteil darüber zusteht, ob 
ein Notstand vorlag oder nicht. Diese Frage ist an sich zu be- 
jahens). Das Staatsministerium wird zum Nachweise seines ver- 
fassungsmäßigen Handelns darzutun haben, daß die Voraussetzungen 
für den Erlaß der Verordnung vorlagen. Der Landtag andererseits 
kann in eine Prüfung dieser Frage eintreten. Die Prüfung und ihr 
  
:) Das Gegenteil war in der 1. Aufl. ausgeführt.
	        
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