8 81 Königliche Verordnungen mit Gesetzeskraft. 543
soweit verfassungsmäßig ein Gesetz erfordert wird, mit der Beseitigung
derartiger Verordnungen überhaupt praktisch fast gleichbedeutend. Man
übersah aber fernerhin, daß man durch jene Lehre einen unlösbaren
Widerspruch in die Verfassungsurkunde selbst gewaltsam hineinlegte.
Nach Art. 109 der Verfassungsurkunde sollen die bestehenden Steuern
und Abgaben forterhoben und alle Bestimmungen der bestehenden
Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und Verordnungen, welche der gegen-
wärtigen Verfassung nicht zuwiderlaufen, in Kraft bleiben, bis sie
durch ein Gesetz abgeändert werden. Ist wirklich, wo die Verfassungs-
urkunde von einem Gesetze spricht, die Notverordnung ausgeschlossen,
so kann, da nach Art. 109 ein Gesetz nur durch ein neues Gesetz
abgeändert werden darf, überhaupt keine Verordnung mit Gesetzes-
kraft ergehen. Art. 109 der Verfassungsurkunde, welcher nach dieser
Ansicht die Notverordnungen überhaupt ausschlösse, befände sich dann
mit Art. 63, der sie zuließe, in unlösbarem Widerspruche. Ueberdies
hätte es gar keinen Sinn, daß verschiedentlich ausdrücklich ein „mit
vorheriger Zustimmung beider Häuser des Landtages zu erlassendes
Gesetz“ erfordert würde, wenn das Wort „Gesetz“ allein schon die
Bedeutung hätte, die Notverordnung auszuschließen.
Die Annahme, daß durch das Erfordernis eines Gesetzes in der
Verfassungsurkunde die Notverordnung ausgeschlossen sei, ist also voll-
ständig haltlos. Sie ist in neuester Zeit auch in der Praxis allseitig
aufgegeben worden. So soll nach Art. 105 der Verfassungsurkunde
die Vertretung und Verwaltung der Kreise durch besondere Gesetze
näher bestimmt werden, nach Art. 9 sind Eingriffe in das Eigentum
nur auf Grund des Gesetzes zulässig. Gleichwohl ergingen die Ver-
ordnungen vom 24. August 1882 betreffend die Vertretung des
Lauenburger Landeskommunalverbandes und vom 30. Oktober 1895
betreffend die Beförderung eines veränderten Bebauungsplanes des
durch Brand zerstörten Fleckens Brotterodes). Sie erhielten, ohne
daß an den Verordnungen vom Landtage wegen ihres Inhaltes An-
stand genommen wurde, die nachträgliche Genehmigung der Volks-
vertretungo).
Gegenstand der Verordnung mit Gesetzeskraft kann demnach alles
sein, was Gegenstand des Gesetzes ist, ausgenommen der Verfassungs-
—..
8) G.-S. 1882, S. 343; 1895, S. 551.
") Vgl. Bekanntmachung vom 19. März 1883 (G.-S. 1883, S. 35).