554 Das Verfassungsrecht. 8 82
aus dem Grundsatze aufzugeben. Wäre das Prüfungsrecht vorhan—
den, so wären auch alle oben aus ihm gezogenen Folgerungen zu—
treffend.
Diese Erörterungen beweisen doch aber nur, mit welchen unüber—
windlichen Schwierigkeiten das Prüfungsrecht, falls es vorhanden wäre,
zu kämpfen hätte. Der Nachweis, daß es staatsrechtlich wirklich nicht
vorhanden ist, erscheint damit noch nicht geführt. Auch die erheblichen
politischen Bedenken gegen das Prüfungsrecht können für die staats-
rechtliche Erörterung nicht in Betracht kommen.
Ebensowenig kann man aber andererseits behaupten, daß etwa
durch die königliche Sanktion und den Verkündigungsbefehl das rechts-
gültige Zustandekommen des Gesetzes unanfechtbar festgestellt wäres).
Daß es Pflicht des Königs und des Ministeriums ist, nur rechtmäßig
zustande gekommene Gesetze verkündigen zu lassen, ist zweifellos.
Aber König wie Minister sind dem Irrtum unterworfen, und daß die
königliche Entscheidung für ändere Personen bindend wäre, ist ohne
ausdrüclliche Bestimmung der Verfassungsurkunde um so weniger
anzunehmen, als sonst die Beurteilung streitiger Rechtsverhältnisse dem
Könige nicht zusteht.
Die Ausschließung des Prüfungsrechtes auch für Gesetze ist aber
mittelbar in der Verfassungsurkunde selbst ausgesprochen. Gesetz ist
eine mit Zustimmung des Landtages erlassene königliche Verordnung.
Ist nun bei einer Anordnung diese Zustimmung gar nicht oder nur
scheinbar vorhanden, so hat sie zwar nicht den Charakter des Gesetzes,
aber doch den der Verordnungo). Die Nechtsgültigkeit der Ver-
ordnungen hat aber nur der Landtag zu prüfen. Da die Gesetze nur
eine besondere Gattung von Verordnungen bilden, für Verordnungen
aber das Prüfungsrecht ausgeschlossen ist, so ist es auch für Gesetze
nicht vorhanden. Die Prüfung steht vielmehr nur dem Landtage zu.
Verneint der Landtag die Rechtsgültigkeit, so hat allerdings ein
solcher Beschluß für die Behörden und die einzelnen Staatsangehörigen
nur insofern Anspruch auf Anerkennung, als die Regierung durch Ver-
— —— —— —— —
8) So für das Reichsrecht Laband a. a. O.
Vgl. Gueist, Verwaltung, Justiz und Rechtsweg, S. 73: „Ge-
set ist die mit Zustimmung der verfassungsmäßigen Landesvertretung
erlassene Verorbnung; Verordnung der Ausdruck des Staatswillens ohne
die Zustimmung". Uebereinstimmend Entsch. des Reichsgerichts in Straf-
sachen vom 6. November 1903, Bd. 36, S. 417 ff.