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dernis ist aber, daß es wenigstens sich um eine königliche Verordnung
handelt. Daß dies der Fall ist, wird erkennbar aus den Eingangs-
worten: „Wir, der König, verordnen,“ der königlichen Unterschrift und
der ministeriellen Gegenzeichnung, ohne welche eine königliche Regie-
rungshandlung überhaupt nicht denkbar istu).
Wohl aber haben die Gerichte Gesetze und Verordnungen daraufhin
zu prüfen, ob sie nicht mit dem Reichsrechte in Widerspruch stehen
einfach deshalb, weil sie das Reichsrecht anzuwenden haben und Reichs-
recht dem Landesrechte vorgehttr).
§ 83. Die Schranken der Gesetzgebung.
Die Gesetzgebung bildet die Schranke der freien Regierungs-
tätigkeit des Königs. Dieser ist die Regelung gewisser Gegenstände
entzogen und der König dabei an die Mitwirkung des Landtages
gebunden. Dadurch ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß an und für
sich zum Gebiete der Regierung gehörende Gegenstände durch die Gesetz-
gebung geregelt werden. Hierin liegt keine Beeinträchtigung der könig-
lichen Regierungsrechte. Denn es ist die freie Willensentschließung
des Königs, der das Gesetz seine Entstehung verdankt. Das Gebiet
der Regierung wird damit allerdings dauernd verengert, indem das
Gesetz nur durch Gesetz abgeändert werden kann. Die Regierung findet
ihre Schranke in dem Gesetze, die Gesetzgebung aber nicht in der
Regierung. Das Gebiet der Gesetzgebung kann sich auf dem bisher
der Regierung zustehenden immer weiter ausbreiten und breitet sich
erfahrungsgemäß immer weiter aus. Ebensowenig bildet die Justiz
eine Schranke der Gesetzgebung. Der Richter hat das bestehende Recht
anzuwenden. Die Gesetzgebung kann aber in diese Sphäre eingreifen,
indem sie dem NRichter durch die authentische Interpretation eine
bestimmte Art der Rechtsanwendung vorschreibt, indem sie neueren
Anordnungen rückwirkende Kraft beilegt, und indem sie durch Sonder-
11) Damit erledigt sich die Streitfrage, ob den Behörden nur
die Prüsung der materiellen Gültigkeit entzogen, dagegen die der übrigen
Formalien außer der Publikation belassen sei. Vgl. darüber E. A. Chr.,
Studien über das preußische Staatsrecht 1 in Aegidis Zeitschrift für
deutsches Staatsrecht, Bd. 1, S. 179 ff.
12) Uebereinstimmend Entsch, des Reichsgerichts im Plenum vom
29. Mai 1901, Entsch, in Zivils. Bd. 48, S. 205.