8 83 Die Schranken der Gesetzgebung. 557
gesetz einen Fall selbst entscheidet und ihn damit dem richterlichen
Urteile entzieht. Die Justizgewalt bildet also ebensowenig eine Schranke
der Gesetzgebung wie die Regierung. Regierungs= und Justizgewalt
finden die Grenze ihrer freien Tätigkeit in der Gesetzgebung, ziehen
ihr aber ihrerseits keine Grenze. Die Gesetzgebung, die freieste der
staatlichen Gewalten, kann daher schrankenlos sein wie die Staats-
tätigkeit selbst. Ebensowenig wie zum Wesen der staatlichen Sou-
veränetät gehört aber diese Schrankenlosigkeit zu dem der Gesetzgebung.
Die Gesetzgebung kann die Grenzen ihrer Tätigkeit finden in dem
Gesetze des Staates selbst, in seiner Verfassungsurkunde, oder in einer
anderen, ihr nebengeordneten staatlichen Gewalt, wenn der Staat einer
anderen staatlichen Gemeinschaft, einem Bundesstaate, angehört.
Die Verfassungsurkunde ist ein Gesetz und unterliegt der Abän-
derung wie jedes andere Gesetz nur in besonderen, erschwerten Formen.
Die Verfassungsurkunde bildet daher keine Schranke für die Gesetz-
gebung überhaupt, sondern nur für diejenigen Gesetze, welche nicht in
den Formen der Verfassungsänderung ergehent). Kein in den gewöhn-
lichen Formen zustande kommendes Gesetz darf sich daher mit der Ver-
fassungsurkunde in Widerspruch setzen. Ist dies der Fall, so erscheint
die Form der Verfassungsänderung notwendig. Als Verfassungs-
änderung ist auch die authentische Interpretation einer Verfassungs-
bestimmung anzusehen:). Denn wenn die authentische Interpretation.
auch nur die in der Verfassungsurkunde bereits ausgesprochenen Rechts-
sätze entwickeln will, so hebt sie doch die bei der bisherigen gesetzlichen
1) Unzutreffend ist es, wenn v. Martitz a. a. O., S. 260 die
Verfassung für ein Recht höherer Auktorität gegenüber dem Gesetze aus-
gibt gleich dem Gesetze gegenüber der Verordnung. Verfassung, Gesetz
und Verordnung sind von völlig gleicher Auktorität, nur jedes in
seiner Sphäre. Die Verschiedenheit beruht allein in der Form des Er-
lasses oder der Abänderung der staatlichen Anordnung. Der König
sollte als höhere Autorität über sich den König haben, der mit Zustim-
mung des Landtages befiehlt, und der mit Zustimmung des Landtages
befehlende König den König, der auf Grund zweimaliger, mit einem
Zwischenraume von wenigstens 21 Tagen gegebener Zustimmung des
Landtages befiehlt! Das ist wirklich der von Martiß heraufbe-
schworene Geist jenes nassauischen Amtmannes, der an sich selbst be-
richtete und reskribierte, nur in verschiedenen Bureaustunden. Vgl.
auch 8 16.
2, A. M. v. Rönne, Pr. St.-R., Bd. 2, S. 369.