8 84 Aufhebung der Gesetze. 561
Rechtsnorm enthält, zwei Fälle denkbar. Entweder das Gesetz läßt
selbst Ausnahmen zu, oder es tut dies nicht.
Im ersteren Falle kommt die Dispensation nur scheinbar zur
Anwendung. Es ist nicht der die Dispensation Erteilende, sondern
das Gesetz selbst, welches die Ausnahme macht. Es gibt sich von
Anfang an nur eine beschränkte Geltung, will jedoch diejenigen Fälle,
in denen es nicht zur Anwendung kommen soll, nicht selbst bestimmen,
sondern anderweitiger Bestimmung vorbehalten. Wer die Ausnahme
im einzelnen Falle zuzulassen hat, ist gesetzlich geregelt. Die Feststellung
der Ausnahme ist also keine Durchbrechung der im Gesetze aufge-
stellten Rechtsnorm, sondern im Gegenteile die Ausführung der Rechts-
norm, welche gewisse Fälle nicht unter ihre Regel ziehen wollte. Es liegt
eine einfache Ausführungsverordnung zu dem Gesetze vor. Diese fällt
aber naturgemäß in das Gebiet der Regierungstätigkeit.
Läßt andererseits das Gesetz Ausnahmen nicht zu, so ist damit
der Wille des Gesetzgebers erklärt, daß das Gesetz auf jeden unter
seine Norm fallenden Tatbestand zur Anwendung zu kommen habee).
Das Gesetz bildet aber die Schranke der Regierung und die Richt-
schnur für die Justiz. Die freie Regierungstätigkeit ist nur befugt,
dem Gesetze seine Wirkung zu entziehen, sonst wäre das Gesetz als
solches nicht mehr vorhanden. Jede Ausschließung der Gesetzes-
anwendung auf einen bestimmten Fall ist eine teilweise Aufhebung
des Gesetzes. Das Gesetz kann aber ganz oder teilweise nur auf-
gehoben werden durch Gesetz. Demnach kann auch die Dispensation
von einem Gesetze, welches selbst keine Ausnahmen zuläßt, nur erfolgen
durch Gesetz.
Die Dispensation ist somit überhaupt kein staatsrechtlicher Be-
griff. Entweder läßt das Gesetz Ausnahmen von seiner Rechtsregel
zu, ohne sie im einzelnen zu bestimmen, dann ist die Dispensation
einfach eine Ausführungsverordnung, also ein Regierungs= oder Ver-
waltungsakt, oder das Gesetz gestattet keine Ausnahmen, dann ist die
2) Steuergesetze, welche einen Steuererlaß durch den König nicht
vorsehen, schließen ihn daher aus. Vgl. darüber Boruhak, Das
Recht des Königs zum Steuerlaß in Preußen im Archiv für öffent-
liches Recht, Bd. 6 (1891), S. 311, dagegen Laband, Das Gnaden-
recht in Finanzsachen nach preußischem Recht a. a. O., Bd. 7 (1892),
S. 16) ff., beide geschrieben anläßlich des Erlasses des Luciusschen
Fideikommißstempels.
Bornbak, Hreußisches Staaterecht. I. 2. RKull. 36