8 86 Geschichtliche Entwicklung der königlichen Justizgewalt. 567
Die Dispensation einschließlich der Begnadigung und des Privi-
legiums sowie die Suspension sind daher gar keine besonderen Auf-
hebungsarten der Gesetze, sondern entweder neue Gesetze oder im
Gesetze selbst vorgesehene Regierungsakte.
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Dritter Hbschnitt. von der richterlichen Gewalt').
8 85. Geschichtliche Entwicklung der königlichen Justizgewaltt).
Die ursprüngliche Gestaltung der Rechtspflege bei den germanischen
Völkern steht in engster Wechselbeziehung zu der des Volksrechtes.
Das gewohnheitsmäßig feststehende Privat-, Straf= und Prozeßrecht,
die Lex, ist von Hause aus jeder Einwirkung der Staatsgewalt ent-
zogen. Deren Tätigkeit ist nur möglich innerhalb der gesetzlichen
Schranken. Jede Abänderung des Volksrechtes, des angeborenen
Rechtes des freien Mannes, kann nur erfolgen auf Grund der Zu-
stimmung der Beteiligten. Geht das Recht nun nicht aus dem Willen
des Staates hervor, sondern besteht lediglich innerhalb seiner Grenzen,
so kann auch die Rechtsanwendung nicht staatlichen Organen ein-
geräumt werden. Diese ist vielmehr Sache der aus dem Volke her-
vorgehenden Schöffen. Sie haben für jeden einzelnen Fall das im
Volke lebende Recht zu weisen. Die Rechtsanwendung ging also vom
umgekehrten Standpunkte aus als in der Jetztzeit. Während es
gegenwärtig Aufgabe der Rechtsanwendung ist, den einzelnen Fall
unter einem Rechtssatz zu bringen, bestand die Tätigkeit der Schöffen
darin, für den ihnen vorliegenden Fall das Recht zu weisen. Für
uns bildet der Rechtssatz, nach altgermanischer Auffassung der ein-
*) Vgl. Klüber 88 366 ff.; Zöpfl 88 445 ff.; Zachariä
88 169 ff.; Gerber 855; G. Meyer 88 170 ff.; H. Schulze, Deut-
sches Staatsrecht, Bd. 1, S. 537; v. Rönne-Zorn, Pr. St.-R., Bd. 2,
S. 653 ff.; H. v. Schulze-Gaevernistz, Pr. St.-R., Bd. 2, S. 64 ff.
1) Vgl. besonders Stölzel, Br. Pr. Rechtsverfassung und Rechts-
verwaltung, 2 Bände, Berlin 1888, die betreffenden Teile bei Born-
hak, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte, Berlin 1903, und beie
Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtentums, 3 Bände, Berlin
1874—1884, sowie Kühns, Geschichte der Gerichtsverfassung und des
Prozesses in der Mark Brandenburg, besonders im 14. und 15. Jahr-
hundert, 2 Bände, Berlin 1865—1867.
