568 Das Verfassungsrecht. 8 86
zelne Tatbestand, den Obersatz der logischen Schlußfolgerung, an den
sich dort der einzelne Fall, hier die Rechtsnorm als Untersatz an—
schließt. Das Ergebnis ist aber in beiden Fällen dasselbe. Aus dem
Obersatze und dem Untersatze wird der Schlußsatz, das richterliche
Urteil, gefolgert.
Nur das Urteil zu fällen, ist Aufgabe der Schöffen. Mit der
Fällung des Urteils ist aber die Rechtsanwendung noch nicht erschöpft.
Es muß die dem Urteile entsprechende Anordnung getroffen, und diese
Anordnung nötigenfalls erzwungen werden. Auch bei der Abhaltung
der Gerichtssitzung selbst sind zahlreiche tatsächliche Anordnungen er-
forderlich. Das Treffen dieser Anordnungen ist nicht Sache der
Schöffen, sondern des bei der Urteilsfällung nicht beteiligten Richters,
als welcher in dem ordentlichen Gerichte der Graf tätig ist. Die
Aufgabe des Richters im altgermanischen Sinne besteht also nicht
in der Unterordnung des einzelnen Falles unter den Rechtssatz, son-
dern in der Herbeiführung des durch das Recht geforderten tat-
sächlichen Zustandes, nachdem die Einordnung des einzelnen Falles
unter das Recht durch die Schöffen erfolgt ist.
Diese Art der Rechtsanwendung steht aber in engster Verbindung
mit dem Volksrechte. Sie geht daher nur so weit, als das Volks-
recht selbst die Normen für die menschlichen Lebensverhältnisse gibt,
gilt also im allgemeinen nur für die Anwendung des Privat= und
Strafrechts, wobei freilich nicht zu vergessen ist, daß nach mittelalter-
licher Anschauung die Grenzen des Privatrechtes sehr verschwommen
sind, und manche Gegenstände, die nach unserer Rechtsauffassung
zweifellos in das Gebiet des öffentlichen Rechtes fallen, nach privat-
rechtlichen Grundsätzen behandelt werden. Soweit das Volksrecht keine
Rechtsordnung gibt, haben der König und seine Organe, die Grafen,
das unbedingte Recht des Gebotes und des Verbotes sowohl für den
einzelnen Fall als auch allgemein, ohne daß bei der Anwendung dieser
auf Verordnung beruhenden Normen irgend welche Beteiligung der
Schöffen stattfände.
Die deutsche Landeshoheit hat sich nun entwickelt aus der Graf-
schaft. Ebensowenig wie in der Landeshoheit ursprünglich die Befug-
nis enthalten war, ohne Zustimmung der Beteiligten den auf dem
Volksrechte beruhenden Rechtszustand abzuändern, waren die Landes-
herren berechtigt, ohne die hergebrachte Mitwirkung der Schöffen die
Normen des Volksrechtes auf den einzelnen Fall anzuwenden. Die