8 11 Staatsrechtlicher Charakter des preußischen Staates. 71
zur Bestimmung der eigenen Kompetenz ist die höchste Gewalt, und
in ihr liegt die Souveränetät. Im Reiche kann nach Art. 78 M.
das Reich selbständig Verfassungsänderungen vornehmen und durch
solche auch seine Zuständigkeit erweitern. Hierin liegt die Kompetenz-
Kompetenz. Das Reich ist somit allein souverän, die Einzelstaaten
sind nicht souveräne Staaten, von Kommunalverbänden allein dadurch
verschieden, daß sie ein Gebiet ureigenster, dem Reiche gegenüber
unkontrollierbarer Staatsgewalt besitzen. Laband bezeichnet daher
geradezu die Einzelstaaten als Selbstverwaltungskörper.
Allein die Lehre von der Kompetenz-Kompetenz übersieht, daß
die Einzelstaaten bei der Willensbildung des Reiches durch ihre Teil-
nahme am Bundesrate mitzuwirken haben. Kein Reservatrecht kann
aufgehoben werden ohne Zustimmung des bevorrechtigten Staates.
Keine Verfassungsänderung und somit Kompetenzerweiterung ist mög-
lich gegen den Willen Preußens, da zu ihrer Verhinderung 14 Stim-
men im Bundesrate genügen, Preußen allein aber deren 17 hat.
Wo bleibt da die Kompetenz-Kompetenz und die Souveränetät? Die
Bezeichnung der Einzelstaaten als bloßer Selbstverwaltungskörper mag
ferner allenfalls da zutreffen, wo sie bloß den gesetzgeberischen Willen
des Reiches auszuführen haben, nicht aber in der ihnen verbliebenen
Sphäre ureigenster und unkontrollierbarer Staatsgewalt. Ob der
Besitz einer solchen überhaupt zur Kennzeichnung als Staat ausreicht,
mag dahingestellt bleiben, da gewichtige Stimmen auch den Ge-
meinden ureigene, vom Staate verschiedene Befugnisse beilegen?).
Die Souveränetät ist eine Eigenschaft des Staates, abgeleitet
aus der konkreten Betrachtung des Einheitsstaates, in dem alle Rechte
der Staatsgewalt vereinigt sind. Im Bundesstaate hat eine Spaltung
der staatlichen Befugnisse unter zwei staatlichen Organisationen statt-
gefunden. Beide zusammen machen erst das aus, was die moderne
Kulturwelt vom Staate erwartet. Beide in ihrer untrennbaren Ver-
bindung sind daher erst mit der höchsten Eigenschaft des Staates,
der Souveränetät, ausgestattet. So kann weder das Reich seine Kom-
petenz erweitern gegen den Willen Preußens, noch Preußen gegen
den Willen des Reiches. Aber beide zusammen vermögen rechtlich
alles. Sie haben daher die Souveränetät gemeinsam. Die ganze
") Val. Bd. 2 den Abschnitt über das Gemeinderecht.