Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

74 Allgemeine Lehren. 8 12 
des Gesamtstaates der löniglich preußischen Staaten zu dem Einheits- 
slaate der preußischen Monarchic entgegenstellten. Durch Beseitigung 
der letzten Spuren des einstigen staatlichen Sonderbestandes der Gebiete 
war der Einheitsstaat nicht mehr bloß eine Tatsache, er war zum 
Recht geworden. Für einen einheitlichen Staat können aber die Rechts- 
normen, welche die Gliederung des stlaatlichen Wesens und seine 
Funktionen bestimmen, nur einheitlich sein. Die Kabinettsorder vom 
(I. März 18212) erklärt daher gesetzlich, daß in der ganzen Monarchie 
mur ein inneres Staatsrecht gelten könne. Partikulare Besonder 
heiten in dem Verfassungsrechte widersprechen daher dem Begriffe des 
Einheitsstaates5). Wohl aber kann die Ausübung der Staatshoheits- 
rechte durch die Staatsorgane in den einzgelnen Gebietsteilen des 
Einheitsstaates nach verschiedenen Normen geregell sein, wenn schon 
das Interesse des Einheilsstaates auch hier eine gewisse Gleichförmig 
leit ersordert. Partikulare Verschiedenheiten in dem Verwaltungs. 
rechte des Einheitsstaates sind daher möglich und bestehen auch tal- 
sächlich in dem preußischen Verwaltungsrechte. 
Das preußische Staatsrecht wird endlich seit der Wiederherstellung 
des Reiches in hohem Grade beeinflußt durch das Rrichsrecht. Dieses 
hat aber ebenfalls verschieden gewirkt auf das Verfassungsrecht und 
auf das Verwaltungsrecht. Da das Reich die Einzelstaaten als selbst- 
ständige staatliche Organisationen bestehen gelassen hat, so wird das 
Verfassungsrecht der Einzelstaaten sast ausschließlich durch deren 
eigenes Staatsrecht bestimmt. Die Verfassung der Bundesstuaten ist 
durch das Reichsrecht unberührt geblieben. Zwar sind durch die nord- 
deutsche Bundes= und die Reichsverfassung zahlreiche Bestimmungen 
der preußischen Verfassungsurkunde ausgehoben worden. Diese hatten 
jedoch nicht das Verfassungsrecht, sondern nur das Verwaltungsrecht 
Preußens zum Gegenstande. Wenn man behauptet, durch Begründung 
des Reiches habe das preußische Versassungsrecht Aenderungen er- 
sahren, so beruht dies meist auf einer Verwechselung der Verfassung 
im sormellen Sinne, der Verfassungsurkunde, welche verfassungsrecht- 
liche und verwaltungsrechtliche Bestimmungen enthält, mit dem mate- 
— 
2) G.-S. 1821, S. 30. 
5) Vgl. Hubrich, Die reichsgerichtliche Judikatur und das Prinzip 
der Einheit des inneren preußischen Staatsrechts in Hirths Annalen 
1908, S. 662 ff., 725 ff.
	        
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