Full text: Preußisches Staatsrecht. Zweiter Band. (2)

§ 111 Geschichtliche Entwicklung der Landgemeindeverfassungen 2c. 213 
Gutsherrlichkeit. Infolge der Verkennung der maßgebenden gesell- 
schaftlichen Grundlagen, insbesondere der inneren Verschiedenheit 
von Stadt und Land, der östlichen und westlichen Provinzen, mußten 
jedoch diese Reformgesetze scheitern, ehe sie vollständig zur Durch- 
führung gelangt waren. Mit der Suspension dieser Gesetze trat 
für die östlichen Provinzen der bisherige Rechtszustand wieder 
in Kraft. Nur den dringendsten praktischen Bedürfnissen, die sich 
geltend gemacht hatten, suchte man gerecht zu werden durch eine 
Novelle zu der bisherigen Gemeindegesetzgebung, das Gesetz vom 
14. April 1856 betreffend die Landgemeindeverfassungen in den 
sechs östlichen Provinzent). Dieses Gesetz trat auch für Neuvor- 
pommern und Rügen in Kraft, wo zwar die im ALR. II, 7 ent- 
haltene Landgemeindeordnung nicht geltendes Recht war, aber 
gewohnheitsrechtlich die Landgemeindeverfassung eine der land- 
rechtlichen Kodifikation ähnliche Form erhalten hatte. 
Die schon seit Anfang der sechziger Jahre geplante Reform 
der ländlichen Gemeindeverfassung mußte zwar infolge des Ver- 
fassungskonfliktes vertagt werden. Nach dessen Beendigung wurde 
jedoch schon im Jahre 1869 ein entsprechender Gesetzentwurf im 
Landtage eingebracht. Der deutsch-französische Krieg machte dann 
einen nochmaligen Aufschub notwendig, und erst am 13. Dezember 
1872 wurde die Kreisordnung für die östlichen Provinzen er- 
lassen. Die Kreisordnung ist zwar in erster Linie dazu bestimmt, 
die Kreisverfassung zu regeln. Sie enthält jedoch außerdem tief 
einschneidende Anordnungen über die Landgemeindeverfassung, 
indem sie die letzten Reste des Patrimonialstaates, die guts- 
herrliche Polizei, die gutsherrliche Aufsicht über die Kommunal= 
verwaltung der Landgemeinden und die Schulzenberechtigungen 
aufhebt und durch den heutigen wirtschaftlichen Zuständen ent- 
sprechende Bildungen ersetzt. Das bisherige Abhängigkeitsver- 
hältnis der Landgemeinden von den Rittergütern ist damit nicht 
nur in wirtschaftlicher, sondern auch in verwaltungsrechtlicher Be- 
ziehung vollständig gelöst, und derjenige Rechtszustand wieder- 
hergestellt worden, wie er vor der Entstehung der Gutsherrlich- 
keit zur Zeit der Kolonisation bestand. Dabei wurden jedoch 
die Rittergüter nicht den Landgemeinden einverleibt, da eine solche 
Maßregel zwar eine vorübergehende Steuererleichterung der Land- 
) GS. 1856, S. 359. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.