Full text: Preußisches Staatsrecht. Zweiter Band. (2)

§ 137 Geschichtliche Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. 429 
13. Dezember 1872 entstandene, lediglich aus der Initiative des 
Gesetzgebers hervorgegangene Neuschöpfung. 
Bereits in einem anderen Zusammenhange wurde hervorge- 
hoben, daß die ältere deutsche Rechtsprechung in der engsten Ver- 
bindung stand mit dem Volksrechtes). Nur soweit das Volksrecht 
die Normen für menschliche Lebensverhältnuisse enthielt, also im 
allgemeinen nur über das Gebiet des Privat= und Strafrechts, 
erstreckt sich die Rechtsprechung der Volksgerichte, d. h. der Schöffen 
unter dem Vorsitze der Obrigkeit. Soweit dagegen das Volksrecht 
keine Normen gab, hatte die Obrigkeit, ohne daß wie bei Aenderungen 
des Volksrechtes eine Mitwirkung des Volkes erforderlich gewesen 
wäre, das Recht des Gebots und des Verbots unter Strafandrohung 
(Bann) sowohl für den einzelnen Fall wie allgemein. Ebenso wenig 
wie zum Erlasse dieser Anordnungen ist zu ihrer Ausführung 
irgend welche Tätigkeit des Volkes geboten. Es findet daher kein 
gerichtliches Verfahren darüber statt, ob jemand durch Nichtbefolgung 
der obrigkeitlichen Anordnung den Bann verwirkt hat. Die Geld- 
buße wird von der Obrigkeit eingezogen, sobald sie solche für ver- 
fallen hält, und sie allein hat darüber zu entscheiden. Eine förm- 
liche Rechtsprechung über die nicht durch das Volksrecht, sondern 
durch das Amtsrecht geregelten Verhältnisse findet also nicht statt, 
es besteht grundsätzlich keine Rechtsprechung über streitige Fragen 
des Verwaltungsrechts. Wohl können alle Beamten wie der König 
selbst wegen Mißbrauchs ihrer Gewalt vor Gericht gezogen werden, 
sachlich handelt es sich jedoch hier lediglich um Fragen des Privat- 
oder Strafrechts, welches Gegenstand des Volksrechts und demgemäß 
auch der Rechtsprechung ist. 
Während der Entwicklung mehrerer Jahrhunderte verliert sich 
aber der Begriff des Volksrechts in dem des Standesrechts. Seit 
der hohenstaufischen Zeit sondert sich neben dem hohen Adel, dem 
Reichsfürstenstande, die Ritterschaft als niederer Adel aus der 
Masse des Volkes ab und bildet für sich ein besonderes Grund- 
besitzrecht, ein besonderes Familienrecht, also mit einem Worte ein 
besonderes Privatrecht und vermöge des besonderen Gerichtsstandes 
auch ein besonderes Strafrecht aus. Dasselbe geschieht ungefähr in 
derselben Zeit hinsichtlich der städtischen Bevölkerung, für die sich 
an Stelle des bisherigen Volksrechtes ebenfalls ein besonderes 
3) Vgl. 8 86.
	        
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