8 148 Wesen der Verwaltungegerichtsbarkeit. 139
Verwaltungsgerichtsbarkeit die Rede ist, das in einem einzelnen
Staate geltende System im Sinne hat, die verschiedenen Systeme
aber sehr wenig oder gar nichts mit einander gemein haben.
Nur von dem Standpunkte der geschichtlichen Entwicklung aus,
die in den einzelnen Gebieten zu einem verschiedenen Abschlusse
gelangt ist, kann daher ein Verständnis der verschiedenen Ansichten
über die Verwaltungsgerichtsbarkeit gewonnen werden.
Die älteste und auch heute noch am weitesten verbreitete
Auffassung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist diejenige, welche man
als die privatrechtliche bezeichnen kann. Sie knüpft an den im
16. Jahrhundert in ganz Deutschland herrschenden und in einigen
kleineren Staaten bis in die neueste Zeit erhaltenen Zustand des
öffentlichen Rechts und der Rechtspflege an. Fast das ganze öffent-
liche Recht hatte sich damals aufgelöst in subjektive Berechtigungen
des Landesherren und der Stände, die, eng verknüpft mit dem
Grundbesitze, dessen privatrechtlichen Charakter angenommen hatten.
Die Rechtsprechung über diese staatsrechtlichen Fragen war daher
tatsächlich eine solche über den Widerstreit wechselseitiger subjektiven
Privatrechte, über welche im Zivilprozesse entschieden wird, die
Verwaltungsrechtsprechung hatte durchaus den Charakter des Zivil-
prozesses. In einigen kleineren Staaten, so namentlich in Kur-
hessen, erhält sich dieser Rechtszustand bis in die neueste Zeit.
Die wissenschaftliche Auffassung des Staatsrechts war allerdings
eine andere geworden, aber der Zustand des öffentlichen Rechts
war noch derselbe wie vor mehreren Jahrhunderten.
Der Wissenschaft erwuchs hieraus die Aufgabe, diese Rechts-
zustände wissenschaftlich zu begründen. Der Hauptvertreter dieser
Richtung ist O. Bähr, welcher in seiner Schrift „Der Rechts-
staat“, Kassel 1864, unter dem Eindrucke des kurhessischen Rechtes)
eine allgemeine Lehre der Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelte.
Nach ihm ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Rechtsprechung
wie jede andere. In dem sogenannten Rechtsstaate, der als Er-
rungenschaft der modernen Zeit betrachtet wird, aber tatsächlich
nichts anderes ist als der mittelalterliche, privatrechtlich gestaltete
Patrimonialstaat, sollen den gesetzlich festgestellten Rechten des
Herrschers ebensolche Rechte der Untertanen gegenüberstehen. Das
1) Vgl. über die kurhessischen Rechtszustände die Slizze bei Stölzel,
Br. Pr. Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 712 ff.