440 Das Verwaltungerecht. § 138
Staatsrecht, angeblich ein Teil des Genossenschaftsrechtes und von
derselben Natur wie das Aktienrecht und das Recht der privat-
rechtlichen Genossenschaften, umfaßt die verschiedenen wechselseitigen
Rechte zwischen Herrscher und Untertanen. Der Gegenstand dieser
Berechtigungen ist ein anderer als derjenigen des Privatrechts,
aber ihrem inneren Wesen nach sind sie von diesem nicht ver-
schieden. Sobald daher über diese Rechte Streit entsteht, ist dar-
über im Prozeßwege zu entscheiden, und zwar wie über alle
anderen subjektiven Rechte seitens der ordentlichen Gerichtes).
Da sich auch in anderen Staaten eine Verwaltungsgerichts
barkeit der ordentlichen Gerichte in vereinzelten Punkten erhalten
hatte, man aber abgesehen von der französischen Verwaltungsrechts-
pflege, die man aus politischen Gründen verwarf, von einer Ver-
waltungsgerichtsbarkeit keine klare Vorstellung besaß, so fand die
Bährsche Auffassung über das Wesen der Verwaltungsgerichts-
barkeit ziemlich allgemeinen Anklang. Man machte höchstens aus
praktischen Gründen, nämlich wegen der Unfähigkeit des Richter-
personals, über öffentliches Recht zu entscheiden, das Zugeständnis,
daß für diese Rechtsprechung besondere Verwaltungsgerichte gebildet
werden könnten, aber die Ansicht über das Wesen der Verwaltungs-
gerichtsbarkeit blieb dadurch unberührt. Die Verwaltungsgerichts-
barkeit ist daher nach dieser eingeschränkten privatrechtlichen Auf-
fassung von derselben Natur wie die Zivilgerichtsbarkeit, nämlich
eine Entscheidung über subjektive Rechte, sie unterscheidet sich von
ihr durch zweierlei, dadurch, daß der Gegenstand der Berechtigung
nicht dem Privatrechte, sondern dem Staatsrechte angehört, und
dadurch, daß die erkennenden Behörden nicht die ordentlichen Ge
richte, sondern besondere Verwaltungsgerichte sinds). Diese ein-
2) Vollständig aus dem Bährschen Standpunkte stehen Westerkamp,
Ueber die Reichsverfassung, Hannover 1873, S. 174; v. Stengel
a. a. O. und in dem Aufsatze „Die Uebertragung der Verwaltungsrecht-
sprechung an die ordentlichen Gerichte“ in Hirths Ann. 1876, S. 1374;
K. J. Schmitt, Die Grundlagen der Verwaltungsrechtspflege imt
konstitutionell-monarchischen Staate, Stuttgart 1878.
2) Mit dieser Einschränkung wird die privatrechtliche Auffassung der
Verwaltungsgerichtsbarkeit besonders vertreten von Sarwey, d. a. O.,
S. 73 f.; Seydel, Bayrisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 415; H.
Schulze, a. a. O., ferner in dessen Aussatze „Der Rechtsschutz auf dem
Gebiete des ösfentlichen Rechts“, Leipzig 1873, sowie in Marqu ard-