Full text: Preußisches Staatsrecht. Zweiter Band. (2)

8 138 Wesen der Verwaltungsgerichtsbarkeit. 445. 
So ist es denn begreiflich, daß schließlich eine sachliche Charak- 
terisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit überhaupt für unmög- 
lich erachtet wird, und man ihr Wesen nur sieht in der Er- 
lassung eines Verwaltungsaktes unter Zuziehung des beteiligten 
Untertanen als Partei im Sinne des Zivilprozesses, und ins- 
besondere mit der Wirkung der Rechtskraftfähigkeit des Aktes7), 
also darin, daß der Verwaltungsprozeß eben ein Prozeß ist. 
Unternimmt man es nun, das Wesen der Verwaltungsgerichts- 
barkeit zu ergründen, so muß von vornherein darauf verzichtet 
werden, alle erwähnten Auffassungen in einzelnen zu widerlegen 
und eine allgemein giltige Auffassung der Verwaltungsgerichts- 
barkeit aufzustellen. Jede der obigen Ansichten hat ihre Be- 
rechtigung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit einer gewissen Zeit- 
periode und gewisser Staaten. Es kann sich nur um Feststellung 
des Wesens der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach dem geltenden 
Rechte handeln. 
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist zunächst wie jede anderc 
Gerichtsbarkeit eine Rechtsprechung. 
Die Rechtsprechung war aber charakterisiert worden als die 
Anwendung einer Rechtsnorm auf den einzelnen Fall ver- 
mittels der tatsächlichen Anordnungs). Während die Rechtsnorm 
in abstrakter Form an einen gewissen vorausgesetzten tatsächlichen 
Zustand einen anderen anknüpft, während sie unter der Voraus- 
setzung, daß ein bestimmter Tatbestand vorhanden sein sollte, be- 
fiehlt, einen anderen Zustand herzustellen, ist es Aufgabe der 
Rechtsprechung, diesen in der Rechtsnorm ausgesprochenen Willen 
aur Verwirklichung zu bringen. Der Richter hat zu untersuchen, 
ob im einzelnen Falle der in der Rechtsnorm vorausgesetzte Tat- 
bestand vorliegt, und demnächst den unter dieser Voraussetzung: 
von der Rechtsnorm gewollten anderen tatsächlichen Zustand her- 
zustellen. Jede Rechtsprechung wie jede Rechtsanwendung über- 
haupt erschöpft sich in dieser Vollzugstätigkeit. Die Verwaltungs- 
gerichtsbarkeit ist nun Rechtsprechung, sie hat also zur Voraus- 
setzung den Bestand von Rechtsnormen, die sie anzuwenden hat. 
Soweit also auf dem Gebiete der Verwaltung keine Rechtsnormen 
7) O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht Bd. 1, S. 177. 
8) Vgl. 8 86.
	        
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