Full text: Preußisches Staatsrecht. Zweiter Band. (2)

38 Das Verwaltungsrecht. § 91 
eidigung begründet also keinerlei neue rechtliche Pflichten, sie ist 
nur einc moralische Bestärkung der Rechtsverbindlichkeit). Als 
notwendige Voraussetzung für die Rechtsgültigkeit der einzelnen 
Amtshandlungen könnte die Eidesleistung nur soweit betrachtet 
werden, als ausdrückliche Bestimmungen in dieser Beziehung eine 
Anordnung träfen. Solche bestehen jedoch nach dem jetzt geltenden 
Rechte nicht mehr2o). Wohl aber ist die Eidesleistung selbst eine aus 
dem Dienstverhältnisse sich ergebende Dienstpflicht. Eine Ver- 
weigerung der Eidesleistung durch den Beamten würde daher als 
Verletzung der Dienstpflicht im Disziplinarwege zu ahnden sein#). 
§ 91. Die Amtskantion und das Defektenverfahren?). 
Das Erfordernis einer Kautionsbestellung seitens der Kassen- 
beamten bestand schon seit der Begründung des absoluten Beamten- 
staates und erfuhr die weiteste Ausdehnung unter König Friedrich 
Wilhelm I. Das ALR. II, 10 § 83 erkennt den seit mehreren 
Menschenaltern bereits bestehenden Rechtszustand mittelbar an durch 
die Bestimmung: „Wer einem Kassenbedienten die Kasse übergibt, 
ehe und bevor die Amtskaution desselben berichtigt worden, ist für 
allen daraus entstandenen Schaden verhaftet.“ Die Kautionsleistung 
erscheint hiernach zwar nicht als Voraussetzung für den Eintritt in 
  
10) Ausdrücklich anerkannt ist dies in der Kabinettsorder vom 
11. August 1832 — GS. 1832, S. 204 —, welche als Deklaration aus 
Veranlassung eines besonderen Falles erging. Das Appellationsgericht 
zu Köln hatte nämlich einen Steuerbeamten von der Anklage eines Amts- 
verbrechens freigesprochen, weil er noch nicht vereidet und daher kein 
öoffentlicher Beamter sei. Eine derartige Rechtsprechung wollte man für 
die Zukunft abschneiden. 
20) Nach gemeinem und preußischem Rechte waren die Amtshandlungen 
eines nicht beeideten Nichters nichtig. Vgl. L. 14 C. d. jud. 3, 1; Reichs- 
kammergerichtsordnung von 1555, Teil I, Tit. 57, 59; ALR. II., 17, 
§§ 74, 78, 81. Den Reichsjustizgesetzen ist der Nichtigkeitsgrund fremd, 
er ist deshalb für aufgehoben zu erachten. Derselben Ansicht H. Schulze, 
Pr. St R. Vd. 1, S. 312. Auf die durch die Reichsjustizgesetze nicht 
berührte freuwillige Gerichtsbarkeit, die ihrer Natur nach keine richter- 
liche, sondern Verwaltungstätigkeit ist, bezogen sich jene Bestimmungen 
nicht. 
21) Vgl. Entsch. des Ob. Trib. vom 27. Mai 1850 — J. M. Bl. 
1850, S. 222 ff. —. 
1) Vgl. Esselen, Die Bestimmungen der preuß. Gesetze über das 
Kautionswesen der Staatsbeamten, Siegen 1837.
	        
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