Full text: Preußisches Staatsrecht. Zweiter Band. (2)

62 Das Verwaltungsrecht. 8 93 
Strafe verhängt, und in dem Verfahren, welches der Verhängung 
der Strafe vorausgeht. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese 
Auffassung sich mit dem Rechtszustande anderer Staaten in Ueber— 
einstimmung bringen läßt. Mit den erwähnten Bestimmungen der 
preußischen Disziplinargesetze steht sie jedenfalls vollständig im 
Widerspruche. Es ist schon unvereinbar mit dem strafrechtlichen 
Charakter der Disziplinarstrafe, daß sie neben der Kriminalstrafe 
einhergeht und auch ausgesprochen werden kann, wenn in dem 
ordentlichen Strafverfahren eine nicht von Rechtswegen mit Amts- 
verlust verbundene Verurteilung oder eine Freisprechung erfolgt 
ist. Die Tatsache, daß wegen derselben Handlung ein doppeltes 
Strafverfahren und eine doppelte Verurteilung stattfinden kann, 
läßt sich bei Annahme des strafrechtlichen Charakters der 
Disziplinarstrafe unmöglich rechtfertigen. Es fehlt aber in den 
Disziplinargesetzen die rechtliche Umgrenzung der Tatbestände, wie 
sie für Strafrechtsnormen erforderlich ist, überhaupt. Bei den 
den Disziplinarvergehen nach dieser Auffassung so nahe ver- 
wandten Amtsvergehen und Amtsverbrechen wird diese straf- 
rechtliche Umgrenzung nie verabsäumt. Man begnügt sich nicht 
mit einer allgemeinen Klausel, sondern stellt genau den Tat- 
bestand der Bestechung, der Erpressung usw. auf. Diese Straf- 
rechtsnormen wären überflüssig, wenn für das Strafrecht über- 
haupt eine allgemeine Klausel genügte. Noch auffallender ist es, 
daß neben den Sonderrechtsnormen der Strafgesetze die all- 
gemeine Klausel der Dissziplinargesetze einhergeht. 
Andererseits sieht man in dem Disziplinarrechte einen Aus- 
fluß der Gewalt des Dienstherren über den Diener, die Disziplinar- 
strafe ersetze dem Dienstherren die Vertragsklage auf Leistung, 
welche nicht zum Ziele führen würdemn). Diese Auffassung steht 
in engster Verbindung mit der des Staatsdienstes als eines vertrags- 
mäßig begründeten Gewaltverhältnisses. Da letztere nicht als 
gerechtfertigt erachtet werden konnte, so muß auch der Charakter 
der Disziplinarstrafe ein anderer sein. 
Eine dritte Ansicht“) erklärt die Disziplinarstrafe für eine 
Buße, d. h. für Ersatz des dem Staate durch die Pflichtverletzung 
erwachsenen Schadens und einen Zwang zur Leistung des Ge- 
  
u) Laband, StN. a. a. O.; Nehm in Hirths Ann. 1885, S. 191 ff. 
1) Seydel, Bayr. StRN. Bd. 3, S. 481 f.
	        
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