Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

8 162 Die streitige Gerichtsbarkeit. 113 
sich also mit Notwendigkeit aus dem Wesen des Privatrechts. Die 
Zivilrechtspflege besteht nun aber in der Vollziehung der Normen 
des Privatrechts, falls ihre Anwendbarkeit bestritten ist. Daraus 
sjolgt, daß im Zivilprozesse durch die Anwendung der objektiven 
Rechtsnorm stets über den Bestand subjektiver Rechte und Pflichten 
entschieden wird. Beides fällt unter allen Umständen zusammen. 
Da die subjektive Berechtigung und Verpflichtung sich lediglich aus 
der objektiven Rechtsnorm ergibt, so kann über jene nur entschieden 
werden durch Anwendung der Rechtsnorm und, da aus jeder Norm 
des Privatrechts, welche zur Anwendung kommen soll, subjektive 
Rechte und Pflichten erwachsen, so wird durch die Anwendung über 
letztere entschieden. 
Die subjektiven Privatrechte sind nun aber durchweg verzicht- 
bar, und zwar in doppelter Weise, dem Rechte und der Ausübung 
nach. Auf die meisten privatrechtlichen Befugnisse kann der Be- 
kechtigte unmittelbar verzichten, derart, daß durch den Verzicht die 
subjektive Berechtigung selbst erlischt. Aber auch soweit das sub- 
jektive Recht einer solchen freien Verfügung des Berechtigten ent- 
zogen ist, wie z. B. bei Statusrechten, steht nichts im Wege, daß 
der Berechtigte auf die Ausübung und Geltendmachung des Rechtes 
verzichtet. Die Wirksamkeit des Privatrechtes ist also nur relativ 
mehr oder weniger durch die freie Willensbestimmung des Be- 
kechtigten bedingt. Als das Gemeinsame aller subjektiven Privat- 
dechte erscheint es, daß der Berechtigte sie nicht zur Geltung zu 
bringen braucht, daß er sie ganz oder teilweise auf sich beruhen lassen 
kann. Ist dies bei allen Privatrechten der Fall, so muß die 
Verzichtbarkeit der Ausübung sich auch bei der gerichtlichen Geltend- 
machung des Rechts zeigen. Daraus folgt, daß der Richter über 
ein Privatrecht nur soweit entscheiden kann, als es geltend gemacht 
wird, daß übereinstimmende Parteibehauptungen, auch wenn sie 
den wirklichen Sachverhältnissen nicht entsprechen, für den Richter 
bindend sind, so daß er auf letzteres nicht zurückzugehen braucht, 
eber auch gar nicht zurückgehen darf. 
Der Zivilprozeß hat somit nur die Ermittlung der formellen, 
aber nicht der materiellen Wahrheit zum Gegenstande. Diese Ge- 
bundenheit der richterlichen Aktion durch die Anträge der Parteien 
ezeichnet man gewöhnlich als die Verhandlungsmaxime. Sie ist 
nicht eine prozessualische Seltsamkeit, die der Gesetzgeber je nach 
Bornhak, Preußisches Staatsrecht. III. 2. Aufl. 8
	        
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