Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

8161 Die Staatsverträge. 21 
der in dem Staatsvertrage übernommenen Verpflichtung enthält, 
nicht für jeden einzelnen Fall besonders, sondern ein= für allemal 
ergangen. Zwar wird ein derartiger Rechtssatz, wo er besteht, in 
der Regel aus der falschen oder verworrenen juristischen Ansicht 
hervorgegangen sein, daß durch Staatsverträge Verpflichtungen 
für die Untertanen unmittelbar begründet werden könnten. Dieser 
Beweggrund würde aber an der Gültigkeit und Verbindlichkeit jenes 
Rechtssatzes nichts ändern, falls er sich aus der staatlichen Gesetz- 
gebung ergibt oder seine gewohnheitsrechtliche Geltung feststeht. 
Ebensowenig wäre gegen die Mitwirkung der Volksvertretung 
beim Abschlusse der Verträge etwas einzuwenden. 
Die gegenwärtige völkerrechtliche Praxis beim Abschlusse von 
Staatsverträgen ermöglicht eine derartige Teilnahme der Volks- 
vertretung durchaus. Die Bevollmächtigten der Staaten, welche 
einen Vertrag eingehen wollen, erhalten eine Vollmacht zur Ver- 
tretungsbefugnis gegenüber dem anderen Teile. Die Grenze, wie 
weit sie mit ihren Zugeständnissen an die Gegenpartei gehen können, 
ist gewöhnlich durch eine besondere Instruktion bestimmt. Vielfach 
ist jedoch ein instruktionsmäßiges Handeln nicht möglich, während 
die Zeitumstände zum Abschlusse der Verhandlungen drängen. Aus 
diesen und ähnlichen Gründen kam es schon in früheren Zeiten 
häufig vor, daß die beiderseitigen Bevollmächtigten den Vertrag 
nicht endgültig abschlossen, sondern dessen Ratifikation durch ihre 
Souveräne ausdrücklich vorbehielten. In diesem Falle war das, 
worüber sich die Bevollmächtigten geeinigt hatten, nur ein Ver- 
tragsentwurf, ein rechtsgültiger Vertrag kam erst zustande mit 
der Auswechslung der Ratifikationsurkunden. Während der ersten 
Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde diese Art des Vertrags- 
abschlusses allgemein üblich, so daß man schließlich den Vorbehalt 
der Ratifikation durch die Souveräne als etwas Selbstverständliches 
inm dem Vertragsentwurfe gar nicht mehr besonders erwähnte. 
Kommt nun aber zunächst bloß ein Vertragsentwurf zwischen den 
Bevollmächtigten zustande, während die Souveräne selbst durch 
ie Ratifikation den Vertrag schließen, so konnte man die etwa 
erforderliche Zustimmung der Volksvertretung zum Abschlusse von 
Staatsverträgen sehr bequem in die Zeit zwischen dem Abschlusse 
durch die Bevollmächtigten und die Ratifikation einschieben, ohne 
aß die Einheit der staatlichen Handlung nach außen irgendwie
	        
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