8218 Geschichtl. Entwicklung des Verhältnisses von Staat u. Kirche. 639
sich an auswärtige Bischöfe wandten. In anderen Landesteilen
wurde dagegen auf Grund vertragsmäßiger Verpflichtungen zu
anderen Mächten die bischöfliche Gewalt anerkannt. So standen
die katholische Gemeinde zu Königsberg unter dem Bischofe von
Ermland, Lauenburg und Bütow unter dem Bischofe von Kujavien,
Geldern unter dem Bischofe von Roermondee). Die katholische
Geistlichkeit wurde im allgemeinen von denselben Gesichtspunkten
aus behandelt wie die der protestantischen Kirchen.
Dieses gesamte bis in die Mitte des 18. Jahrhunoerts be-
stehende System des Verhältnisses von Staat und Kirche war
nur auf die protestantischen Kirchen berechnet. Es erwies sich
daher als undurchführbar, seit große vorwiegend katholische Ge-
biete wie Schlesien und später Westpreußen dem Staate ein-
verleibt waren. Während man bisher das unbedeutende katholische
Element je nach verschiedenen geschichtlich gewordenen Verhältnissen
sehr verschieden behandelt, aber auf die Gestaltung der gesamten
Kirchenpolitik keinen Einfluß hatte gewinnen lassen, mußte nun-
mehr die staatliche Kirchenpolitik auch der selbständigen Organi-
sation der katholischen Kirche gerecht werden.
Den Wegweiser bietet die Lehre des Thomasius und IJ. H.
Böhmer von dem landesherrlichen Kirchenregimente. Die Frage
nach seiner Berechtigung hatten beide unter dem lebendigen Ein-
drucke der damaligen preußischen Kirchenpolitik dahin veantwortet,
daß das landesherrliche Kirchenregiment sich rechtfertige aus der
Befugnis des Staates, den Frieden unter den einzelnen Kon-
essionen zu wahren. Denn allein diese Friedensbewahrung sei
der Inhalt des Kirchenregiments. Unzweifelhaft war diese ganz
besonders preußische Lehre durchaus irrig. Sie verkannte, daß
die protestantischen Kirchen als solche nur Glaubensgemeinschaft
waren, daß sie ihre Rechtsgemeinschaft allein im Staate fanden,
und daß deshalb das Recht des Staates gegenüber der Kirche
ein unendlich viel weitergehenderes war als eine bloße Polizei-
hoheit. Aber gerade wegen ihrer Irrtümer war diese Lehre des
ogenannten Territorialsystems geeignet, die Grundlage der neuen
Kirchenpolitik zu bilden. Folgte das Recht des Landesherren über
die Kirche aus seinem staatlichen Rechte der Friedensbewahrung,
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6) Vgl. M. Lehmann a. a. O. Bd. 1, S. ö6 ff.