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bilden; in der That wird es auch Niemanden einfallen, in einer
Demokratie das souveraine Volk oder auch nur die einzelnen Glie-
der desselben für die Beschlüsse, welche sie als souveraines Volk
fassen, verantwortlich zu machen. — Schließlich ist zu bedenken, daß
der Mißbrauch der Staatsgewalt doch in der Regel nur dem gegen-
wärtigen Herrscher, nicht seinen eventuellen Nachfolgern zur Last
gelegt werden kann; wenn also auch der Verlust der Herrschaft oder
die Möglichkeit einer Entziehung die Folge eines Mißbrauchs wäre,
so würden in einer Erbmonarchie die übrigen Mitglieder der Dynastie
ihr Recht auf die Herrschaft nicht einbüßen; es würde mithin die
Staatsgewalt, so lange die fürstliche Dynastie fortdauerte, nicht an
das Volk zurückfallen. ·
W.DasRefulfatder«vorhaixdenenAuseiganderfctzung(l—l·ll)
ist, daß der Volkswille (abgesehen von dem Falle der rechtlichen
Exristenz einer demokratischen Verfassung) weder unbedingt, noch
unker der Voraussetzung einer Usurpation der gesammten Staats-
gewalt, oder eines Verfassungsbruchs oder einer verderblichen Regie-
rung von Seiten des bisher rechtmäßigen Herrschers über die Herr-
schaft frei verfügen kann; ist dies richtig, so kann derselbe auch
nicht beliebig oder unter jenen Voraussetzungen einen nicht recht-
mäßigen Herrscher der sich in den Besitz der Staatsgewalt gesetzt
hat, legitimiren ½). Nichtsdestoweniger ist es räthlich, nicht beie
diesem negativen. Ergebniß stehen zu bleiben, sondern noch die ein-
zelnen Mittel und Wege, durch welche sich jener die Usurpation
legitimirende Volkswille angeblich manifestiren soll, einer kritischen
Betrachtung zu unterwerfen: einerseits gelangen wir erst so zu einer
155) Für die Legitimation eines neuen Staates, falls derselbe nicht etwa
aus mehreren ganzen Staaten, die bisher selbstständig neben einander eristirten,
sich gebildet hat, würde die Doktrin der latenten Volkssouverainität, selbst wenn
sie allgemein gültig wäre, nicht anwendbar sein; denn die Bevölkerung eines
Staatstheils kann unmöglich, noch während sie dem Ganzen angehörte, eine eigene
Souverainität irgend welcher Art gehabt haben. Die Unabhängigkeit der Ver-
einigten Staaten von Nordamerika z. B. kann nicht auf ein vorhergehendes Sou-
verainitätsrecht ihrer Bevölkerung zurückgeführt werden, weil, auch angenommen,
daß im Britischen Reiche die Souverainität virtuell bei dem Volke gewesen wäre,
doch nur dieses Volk in seiner Gesammtheit diese Kraft besessen hätte. Die Er-
klärung vom 4. Juli 1776 gründet freilich auf das angebliche Recht jedes
Volkes, eine despotische Regierung abzuschaffen und neue Schutzwehren für seine
künftige Sicherheit anzuordnen, die Unabhängigkeit und Freiheit der vereinten
Colonien.