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auf die allgemeinen Zwecke jedes Staates beschränkt, sondern die—
selben nach den specifischen Bedürfnissen dieses Volkes ausbildet,
durch ihren Einfluß auf Rechtsüberzeugung und Rechtsleben auch
neues Recht schaffen. — Nur eine solche indirekte Wirkung hat auch
die Anerkennung von Seiten der Mehrheit des Volkes nach Wal-
ter's Auffassung. Welchen Begriff Gerber mit der Anerkennung
des Volks verbindet, ist kaum zu ermitteln; die allgemeine Bedeu-
tung, welche er derselben zuschreibt, berichtigt sich in Betreff des Sub-
jekts der Staatsgewalt durch unsere obigen Ausführungen, sofern
man nicht Anerkennung und Gewohnheitsrecht identificirt. Die Vor-
aussetzungen, von denen Held die Wirksamkeit der Anerkennung
Seitens der verfassungsmäßigen Volksvertretung abhängig macht,
sind durchaus unhaltbar, ) selbst wenn man die Anerkennung, wie
er zu thun scheint, als Willenserklärung nimmt zus) zudem stützt er
jenes eventuelle Recht der Volksvertretung nur auf einen Nothstand,
welcher einmal überhaupt kein formelles Recht giebt, und anderer-
seits thatsächlich auch auf andere Weise, zum Beispiel durch eine
allgemeine Abstimmung oder eine constituirende Versammlung, ge-
hoben werden kann. — In dem Sinn endlich, welchen Bluntschli
der Anerkennung giebt, ist dieselbe im Wesentlichen gleichbedeutend
mit dem Gewohnheitsrecht, dessen legitimirende Kraft in Bezug auf
eine usurpirte Staatsgewalt auch wir nicht bezweifeln; nur darf man
nicht übersehen, daß die Anerkennung im Grunde nur ein Moment
des Gewohnheitsrechts ist, daher, wo sie sich nicht durch Rechtshand-
lungen vollzieht und nicht auf gemeinschaftlicher Rechtsüberzeugung
beruht, keine allgemeine Wirksamkeit in Anspruch nehmen kann.
1491) Die erste ist ein Ausfluß der legitimistischen Theorie; die zweite, daß
der Usurpator selbst niemals legitim werden könne, wird auf sein subjektives Un-
recht, seine Schuld zurückgeführt (S. 39 u. 44); aber diese Schuld kann nur
die rechtliche Folge haben, daß der widerrechtlich erlangte Besitz durch seine Fort-
setzung niemals Recht werden kann, dagegen nicht jeden andern rechtlichen Er-
werbgrund unwirksam machen (vgl. Held's eigene Betrachtung, S. 41).
192) S. 39 werden in derselben Bedeutung die Ausdrücke „Wahl“, „ein
neues Haupt setzen“ gebraucht. Vgl. auch Held's Deutsches Verfassungsrecht, 1,
S. 48, N. 1 und N. 3.