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Revolution. 1) Dann greift hier auch der Grundgedanke der
ganzen Schrift, die Identität der Unfehlbarkeit und der Son-
veränetät 2), maßgebend ein. De Maistre sagt selbst: „Die
Unfehlbarkeit in der geistlichen und die Souveränetät in der
weltlichen Ordnung sind zwei ganz gleichbedeutende Worte.
Eins wie das andere bezeichnet jene hohe Gewalt, die alle
beherrscht und von der alle andern Gewalten hergeleitet sind,
die regiert und nicht regiert wird, die richtet und nicht ge-
richtet wird.“ Zunächst hat de Maistre bei dieser mehr als
gewagten Gleichstellung zweier ganz verschiedenartiger Begriffe
das Interesse des Papstes im Auge, den er als Souverän
der Kirche darzustellen und daraufhin mit der Unfehlbarkeit
auszustatten versucht. Aber dieselbe Folgerung wendet er auch
auf die Fürsten an und verlangt nur, daß man sie in gleicher
Weise für den Papst gelten lassen solle. s)
Zwar denkt auch de Maistre daran, die Völker gegen die
Tyrannei der Fürsten zu sichern; aber das von ihm vorge-
schlagene Mittel, so conseguent es auch aus der weltbeherr-
schenden Stellung folgt, die er dem Papste anweisen möchte,
fordert einen Verzicht auf die staatliche Souveränetät und
würde den Staat unendlich viel mehr gefährden, als es jemals
der ungeordnete Zornesausbruch eines gepeinigten Volks thun
könnte. 4) De Maistre will nämlich dem Papste eine Ober-
aufsicht über die Handhabung der Souveränetät anvertraut
wissen, welche von einem Veto gegen tyrannische Handlungen
1) De Maistre, a. a. O., I, 105.
2) Ebendas., I, 2.
:) Ebendas., I, 171.
!) Vgl. v. Sybel, Kleine historische Schriften (München 1863):
Graf Joseph de Maistre, S. 235.