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der Souveräne bis zu einer Entbindung der Unterthanen von
dem ihrem Fürsten geleisteten Treueide sich steigern soll.)
So kommt de Maistre dann endlich auch bei einem Pro-
gramm an, das sich der Sache nach nur wenig von dem
Bonald's unterscheidet: die absolute Monarchie ist nach des
erstern Ausspruche sogar ein Wunder, wenngleich die Menschen,
nicht geeignet, das, was sie täglich sähen, werth zu halten, sie
Despotismus nennten. 2) Die europäische Monarchie sei durch
ein wunderbares Gleichgewicht ausgezeichnet, nach welchem
dem Fürsten alle Gewalt verliehen sei, welche nicht gerade die
eigentliche Tyrannei voraussetze, und dem Volke alle die Frei-
heit, welche nicht den unerlaßlichen Gehorsam ausschließe; die
Gewalt sei in ihr unermeßlich, ohne ungeordnet zu sein, und
der Gehorsam vollständig, ohne sklavisch zu sein. 3) Die Ge-
rechtigkeit walte in ihr unbeirrt durch königliche Machtsprüche;
denn die europäischen Könige hätten der Gewalt entsagt, selbst
zu richten, und seien dagegen von den Völkern für unfehlbar
und unverletzlich erklärt worden. /)
Aber nicht hierdurch allein ist die europäische Monarchie
ausgezeichnet; vielmehr ist eine weitere Eigenthümlichkeit der-
selben ihre Verbindung mit dem Priesterthum, welche de Maistre
ebenso für göttlich erklärt wie die übrigen Attribute der
Monarchie und den wesentlichen Inhalt aller Verfassungen. 5)
Ja, schließlich wird noch ein dritter Factor des politischen Le-
bens der Vergangenheit von de Maistre zu einer göttlichen
1) Vom Papypste, I, 223, 224, 229 fg.
2) Ebendafs., II, 109.
8) Ebendas., II, 117.
!) Ebendas., II, 114.
5) Ebendafs., II, 116.