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bisher voneinander unabhängiger Länder galten dem Congresse
als zweifellos rechtmäßig, wenn die Herrscher, und zwar
lediglich die Erbherrscher, denselben zugestimmt hatten.
Die Rechtmäßigkeit dieser Geschäfte konnte aber nur mit
der Lehre begründet werden, nach welcher der Landesherr über
sein Territorium und dessen Bewohner verfügen könne, wie
ein Gutsherr über seine Besitzung und deren Zubehör. Mit
der offenen Verwerfung der patrimonialen Theorie würde auch
die Rechtmäßigkeit des wiener Vertragswerks zum großen
Theil umgeworfen worden sein. Denn hätte man den orga-
nischen, persönlichen Charakter 1) und damit die Untheilbarkeit
und Existenzberechtigung des Staats als solchen auch ohne
die herrschende Dynastie 2) wirklich anerkannt, wie dies in allen
unsern modernen Staaten und deren Verfassungen anerkannt
ist, so wäre, wie dies gerade Frankreich gegenüber festgehalten
wurde, infolge der Entthronung eines Herrscherhauses die Ein-
führung einer neuen Dynastie nothwendig, nicht aber die
Vernichtung des ganzen Staats durch Zerstückelung und Ver-
einigung mit andern Ländern zulässig gewesen. Auch hätte
den abgetretenen Staatsangehörigen nicht die bescheidene Unter-
ordnung unter einen ihnen bis dahin fremden Herrscher zuge-
muthet werden können, wenn sie nicht kraft eines dem Sen-
verän zustehenden Eigenthums oder Obereigenthums an dem
von ihnen bewohnten Gebiete oder an der Herrschaft über
dasselbe abgetreten und dem Eigenthums= und deshalb auch
Souveränetätsrechte eines andern Herrschers unterworfen
worden wären.
h v. Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts,
S. 1, 2, Note 1.
2) v. Gerber, Ueber die Untheilbarkeit deutscher Staatsgebiete
(Aegidi, Zeitschrift für deutsches Staatsrecht, Heft 1, S. 5, 9, 15, 21).