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Es läßt sich nicht behaupten, daß der Wiener Congreß
ein klares Bewußtsein des Princips hatte, welches allein so
viele seiner vertragsmäßigen Schöpfungen legitimiren konnte;
deshalb aber bleibt das Patrimonialprincip doch die einzige
juristische Rechtfertigung oder Erklärung einer ganzen Reihe
von zu Wien geschlossenen Vereinbarungen.
Mehr als in irgendeinem der größern völkerrechtlichen
Vertragswerke früherer Zeit ist in der Wiener-Congreß-Acte
das Zeugniß für ein weder durch Verfassung noch durch Ge-
schichte beschränktes Dispositionsrecht der Fürsten über ihre
Gebiete und deren Bewohner abgelegt worden. Früher waren
meistens ganze Provinzen, selbständige Territorien der Gegen-
stand völkerrechtlicher Cessionen gewesen; man hatte einzelne
Länder wol von einem großen gemeinsamen Mutterlande los-
gerissen, aber sie waren mit allen ihren Eigenthümlichkeiten,
insbesondere mit ihrer Verfassung in das Reich des neuen
Erwerbers übergegangen; sie hatten den Herrn gewechselt und
waren sonst regelmäßig unverändert geblieben; sie retteten
somit meistens ihre politische Persönlichkeit. 1) Hugo Grotius
hatte sogar die Eroberung, der damaligen Zeitanschauung ent-
sprechend, lediglich als die Succession in die Herrschaft des
besiegten Fürsten aufgefaßt und demgemäß dem Sieger auch
nur diejenigen Rechte in dem eroberten Lande zugesprochen,
welche sein depossedirter Vorgänger dort ausgeübt. ) Auf
dem Wiener Congresse aber hatte man zuerst in umfassender
1) Zöpfl (Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 5. Aufl.,
Bd. 1, §. 13, S. 24) nennt diese Form der Verbindung verschiedener
bisher nicht zueinander gehöriger Staaten das System der Gleichstellung.
:) De jure belli ac pacis, Buch 3, Kap. 8, §. 1, unter 3. Auch
von Preußen mit Bezug auf Sachsen anerkannt: Preußische Denkschrift
vom 20. Dec. 1814 (Klüber, a. a. O., VII, 64).