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Herz gelegt, daß eine Neuordnung Europas die von Frankreich
begangenen Rechtsbrüche nicht ungesühnt in sich aufnehmen
dürfe, sondern vor allem die gekränkten und unterdrückten
Rechte der von ihren Thronen vertriebenen Fürsten und der
unterjochten Völker wiederherstellen, beziehentlich schonen müsse,
mit Einem Worte, daß die neue Ordnung Europas in Wahr-
heit die Wiederherstellung der alten Ordnung sein solle.
Dieser Auffassung standen aber entgegen die Ansprüche-
Preußens auf eine Vergrößerung und das ausdrückliche Zu-
geständniß, daß Oesterreich im Besitze seiner in den französischen
Kriegen gemachten italienischen Erwerbungen bleiben, Eng-
land Malta erhalten und Holland vergrößert werden sollte 1):
Forderungen und Bestimmungen, welche der Idee einer Restau-
ration der alten europäischen Verhältnisse, soweit diese geschicht-
lich begründet gewesen waren, geradezu widersprachen und nur
dadurch unter den Gesichtspunkt einer Restauration gebracht
werden konnten, daß man sie als Mittel zur Befestigung aller
derjenigen Staaten, welche durch Napoleon ihre frühere Be-
deutung verloren und damit Frankreichs Uebergewicht möglich
gemacht hatten, d. h. als Wiedererrichtung des europäischen
Gleichgewichts auffaßte.
Allein die von den Alliirten mehrfach ausgesprochene Ab-
sicht, das Gleichgewicht unter den politischen Gewalten Europas
wiederherzustellen 2), konnte den wiener Congreßmächten keine
sichere Entscheidungsnorm für die Entwirrung aller ihnen
1) Traité de paix, signé à Paris le 30 Mai 1814, Art. 6.
2) Vertrag von Chaumont vom 1. März 1814, Art. 16 (Klüber,
Acten des Wiener Congresses, Bd. 1, Heft 1, S. 7). Convention
signée à Paris le 23 Avril 1814, Introduction (Ch. de Martens,
Recueil manuel de traités, III, 8) u. s. w.