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völkerrechtlich Irrelevantes sein? War die Macht allein im
Stande, nicht blos Staaten umzustürzen oder Dynastien zu
vertreiben, sondern auch neue Throne oder neue Staaten und
in diesen feste rechtliche Ordnungen zu begründen, so wurde
die Frage nach der Rechtmäßigkeit eines Throns, eines
Herrscherhauses zum Gegenstande antiquarischer Neugierde, in-
different für den Politiker wie für den, welcher eine vor-
handene staatliche Ordnung wissenschaftlich zu begreifen und
darzustellen versuchte. Dann war der Anfang jedes Staats
und jeder Dynastie die Besitzergreifung der Gewalt, also eine
Thatsache, welche wol Recht zu erzeugen und sich selbst mit
rechtlichen Schutzwehren zu umgeben vermochte, aber für sich
allein betrachtet weder formell noch materiell wirkliches Recht
war; die Gewalt blieb dann stets das der Zeit nach Frühere,
und das Recht war das Product, nicht der Producent der
Thatsache, daß eine bestimmte Person in einem bestimmten
Staate herrschte.
So mußten denn alle diejenigen Politiker, welche die Le-
gitimität zu dem geheiligten Unterbaue jeder existenzberechtigten
Staatenbildung machen wollten, ebenso wie die Juristen, welche
auch auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens lediglich die
durch rechtmäßige Willenshandlungen erzeugten Rechtsverhält-
nisse anerkannten, nur ungern an die Beantwortung der oben
aufgeworfenen Frage gehen. Jede Antwort muthete ihnen
ein Zugeständniß zu, welches sie zu machen sich nicht ent-
schließen konnten, obgleich die juristische Construction der vor-
handenen Staaten ein solches immer dringender forderte. Ein
strenges Festhalten an dem Legitimitätsprincip hätte den neuen
Dynastien und Staaten einen rechtlichen Charakter fortdauernd
abgesprochen; sie wären immer und ewig in der Theerie we-
nigstens etwas rein Factisches, der Umwandlung in einen