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Unterthanen, sondern auch als vellständige Unabhängigkeit von
außen erkannten. Diese Unabhängigkeit von allen auswärtigen
Mächten macht den Sonverän erst zum Souverän, wie sie
das Gemeinwesen erst zum Staat macht. Eine Competenz
der europäischen Großmächte, darüber zu entscheiden, welcher
Souverän in Europa mit Recht oder welcher mit Urrecht
seinen Thron einnehme, und ein Recht, den gefundenen Spruch
mit Executionsarmeen auszuführen, würde somit die völker-
rechtliche Souveränetät der Staaten und damit das Völkerrecht
selbst vernichten. Aus ebendiesem Grunde hat das moderne
Völkerrecht den fünf Großmächten die Stellung eines euro-
päischen Gerichtshofes auch beharrlich versagt. 1)
Für den ganz wie theilweise depossedirten Souverän gibt
es sonach kein Forum, vor welchem er sein Recht rechtzeitig
vertreten könnte, damit es nicht durch Verjährung erlösche.
Man halte uns nicht als Beispiel entgegen, daß mehrfach in
Europa neugeschaffenen Staaten ein Souverän gegeben, daß
in Napoleon ein Usurpator gestürzt worden sei: in beiden
Fällen liegt weder ein rechtlicher Spruch über Legitimität oder
Illegitimität des derzeitigen Herrschers, noch die zwangsweise
Execution eines von dem europäischen Weltgerichte gefundenen
Spruches vor, sondern in beiden Fällen waren es politische
und nationale Motive, und nur diese, welche zur Errichtung
oder Besetzung des belgischen, griechischen, rumänischen Thro-
nes, welche zum Sturze Napoleon's führten. Es wäre ein
seltsames Gericht, das im Stande wäre, einen Koburger für
legitimer auf dem belgischen Königsthrone zu halten als
einen Oranier, der Belgien durch freiwillige Cession von
seiten Oesterreichs erhalten! Und daß die Absetzung Napo-
1) Bluntschli, a. a. O., §. 103—113.