300
Herrschaft berufen, verstehe sich von selbst, daß die Herrscher-
berechtigung dieses Subjects oder der Dynastie von seiten des
Volkes nicht bezweifelt werden könne. Im zweiten Falle da-
gegen müsse der Usurpator „für die einzelnen im Volke als
herrschaftsberechtigt“ gelten, sobald es ihm gelungen sei, sich
in den vollen Besitz des Territoriums zu setzen und den
etwaigen bisherigen Widerstand des Volks zu besiegen. Häufig
suchten jedoch derartige nur durch den Besitz der Krone dem
Volke gegenüber legitime Herrscher sich zur größern Befesti-
gung ihrer Herrschaft durch eine Nationalabstimmung oder
nachträgliche Zustimmung der Volksvertretung „einen weitern
Rechtstitel“ zu verschaffen.
Sonach sieht Zöpfl den Volkswillen als Rechtsgrund der
Herrschaft dem Volke gegenüber in zwei Fällen an, nämlich
sowol dann, wenn das Volk oder die Volksvertretung eine
Person zur Herrschaft beruft, welche vor dieser Berufung noch
nicht im Besitze der Staatsgewalt gewesen, als auch dann,
wenn der gegen oder ohne den Willen des Volks zur Herr-
schaft gelangte Usurpator eine Volksabstimmung zu seinen
Gunsten durchzusetzen vermag. Es liegen uns deshalb zwei
Fragen zur Beantwortung vor: Kann das Volk ein von ihm
oder seiner Vertretung zur Herrschaft berufenes Individuum
als legitimen Staatsherrscher betrachten, solange noch die alte
Dynastie, wenngleich aus dem Besitze der Herrschaft verdrängt,
existirt? Und kann weiter das Volk durch allgemeine Abstim-
mung oder durch ein Votum seiner Vertreter einem bereits im
Besitze der Staalsgewalt befindlichen Usurpator ein Recht auf
diesen Besitz oder doch mehr Recht auf denfelben, als er durch
den Besitz schon hatte, geben?
Bluntschli, welcher den Besitz der Staatsgewalt unter
keiner Bedingung als einen ausreichenden Rechtsgrund der