29
zu fällen, auf das entschiedenste in Abrede gestellt: der
Urtheilsspruch eines irdischen Richters könne einem legitimen
König niemals die Krone nehmen, hatte La-Besnardière ½),
hatte der Herzog Ernst von Koburg-Saalfeld 2) behauptet, und
Talleyrand selbst hatte sich mit heiliger Entrüstung darüber
ausgelassen, daß der Congreß, wenn er den sächsischen König
der Krone verlustig erkläre, auch den unerhörten Satz aner-
kennen müsse, daß Könige gerichtet und mit der Confiscation
ihrer Reiche in einem Zeitalter gestraft werden könnten, in
welchem alle civilisirten Nationen die Confiscation aus ihren
Gesetzbüchern verbannt hätten.)
Die Congresse konnten daher wol zum Schutze der legi-
timen Neugestaltung Europas zusammentreten und Beschlüsse
fassen, aber zu ihrer Abänderung konnten sie nicht schreiten,
ohne sie des historisch überkommenen, altehrwürdigen, über-
liefert-rechtmäßigen und deshalb von neuem durch den Wiener
Congreß sanctionirten Charakters, d. h. der Legitimität, zu ent-
kleiden.
Es war sonach nicht blos ein Fehler der Staatsmän-
ner, welche die Legitimität zur glänzenden Fahne einer
ganz Europa umfassenden Reaction zu machen beabsichtigten,
wenn sie die durch den Wiener Congreß vollzogene und für
legitim ausgegebene Neuordnung Europas für unabänderlich
erklärten; es war in viel höherm Grade noch ein Fehler
des Princips selber, dessen consequente oder für conse-
1) Klüber, a. a. O., Bd. 1, Heft 2, S. 11.
2) Klüber, a. a. O., VII, 15. Die gleiche Lehre verkündigte der
Moniteur (Klüber, a. a. O., Bd. 1, Heft 2, S. 15 fg.); vgl. auch
den Ausspruch des Grafen de Maistre bei Duvergier de Hauranne,
Histoire du gouvernement parlementaire en France, II, 378.
2) Klüber, a. a. O., VII, 48 fg.