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sein mochten, wenigstens ein sittlicher Gedanke, die Unzer-
störbarkeit des Rechts, zu Grunde gelegen, wenn dasselbe
wirklich, wie Talleyrand forderte und wie später die ganze
conservative Politik auf mehrere Jahrzehnte hinaus nicht müde
wurde zu behaupten, in der zu Wien vereinbarten Neugestal-
tung Europas unbedingt zur Geltung gekommen wäre. Die
Behauptung von der Herrschaft des Legitimitätsprincips in
den Wiener Verträgen und die daraus gefolgerte Nothwen-
digkeit unverbrüchlicher Aufrechthaltung derselben mußte aber
zur groben Unwahrheit, zur willkürlichen, nicht durch das Recht
gebotenen Tyrannei werden, wenn diejenigen Voraussetzungen
fehlten, von deren vollständigem Vorhandensein es über-
haupt abhing, ob die legitimen Fürsten von Europa wirklich
diesen Namen verdienten.
Talleyrand hatte behauptet, die Neuordnung Europas
durch den Wiener Congreß werde der unbeschränkte Triumph
des Legitimitätsprincips für den Fall sein, daß Sachsen ge-
rettet und Neapel seinem rechtmäßigen Fürsten zurückgegeben
werde. War dem aber auch wirklich so?
Ganz abgesehen von der keineswegs geringen Zahl von
Rechtsverletzungen, denen fast jede der von Talletrand und
dem Wiener Congresse für legitim ausgegebenen alten Dynastien
ihre Herrschaft entweder über ihr ganzes Staatsgebiet oder
doch einzelne Theile desselben verdankte; ganz abgesehen von
den vielfachen gewaltsamen Unterbrechungen der rechtmäßigen
Thronfolge durch Beseitigung der nächstberechtigten Successo=
ren; ganz abgesehen von den außerordentlich zahlreichen Ver-
fassungsverletzungen, durch welche die monarchische Gewalt der
meisten legitimen Fürsten in ihrem damaligen Umfange erst her-
gestellt worden war; ganz abgesehen von allen diesen
Rechtsbrüchen, welche entweder ganze Staaten oder