V.KAPITEL
Die Kabinette » Die Hofstaaten » Die Adjutanten » Erste Meinungsverschiedenheit
mit Wilhelm II., rasche Wiederverständigung - Ankunft in St. Petersburg - Impres-
sionabilität Wilhelms II.
D; Kabinette spielten unter Kaiser Wilhelm II. eine viel größere Rolle
Das als unter seinem Großvater. Von dessen Kabinettsrat Herrn von Wil-
Kabinetts- mowski wußte das große Publikum so gut wie nichts, denn er trat nie in
system die Öffentlichkeit. Herr von Lucanus dagegen gehörte zu den umstritten-
sten Persönlichkeiten seiner Zeit. Sein Name war in aller Munde, seine
Karikatur war häufig in den Witzblättern anzutreffen, die von der Exi-
stenz des würdigen Herrn von Wilmowski keine Notiz genommen hatten.
Das Ideal Kaiser Wilhelms II. wäre an und für sich das Kabinettssystem
sans phrase gewesen. Im ehrlichen Glauben, so am raschesten alle Schwie-
rigkeiten und Hindernisse zu beseitigen, die sich seinen ja nur auf die
Beglückung seines Landes gerichteten Bestrebungen in den Weg stellten,
hätte der Kaiser am liebsten alles Militärische, eventuell auch gegen den
Kriegsminister und selbst gegen den Generalstab, durch sein Militärkabinett
geregelt und bestimmt, die Flotte mit seinem Marinekabinett gebaut, um
dann allein über sie zu verfügen, durch das Zivilkabinett im Innern regiert.
Wie manche andere Pläne und Wünsche des Kaisers scheiterten auch diese
Aspirationen, die ihn in den ersten Jahren seiner Regierung erfüllt hatten,
an der Macht der Verhältnisse und der Tücke des Objekts. So zu regieren,
wie es Wilhelm II. bei der Entlassung des Fürsten Bismarck vorschwebte,
wäre, wie die Verhältnisse in Deutschland und in der Welt 1890 lagen,
auch einem Friedrich dem Großen nicht möglich gewesen.
Der Kaiser hatte seitdem viel Wasser in seinen Wein gießen müssen.
Aber die Kabinette behielten während seiner ganzen Regierungszeit zwei-
fellos großen Einfluß. Das ging an, solange der kluge und ernste Herr von
Lucanus an der Spitze des Zivilkabinetts stand, der vortreffliche, ehr-
würdige General von Hahnke das Militärkabinett leitete; es ging von
1901 bis 1908 mit dem Grafen Dietrich Hülsen-Haeseler, der einen
frischen und unbefangenen, gesunden Menschenverstand besaß, als Chef des
Militärkabinetts. Es ging sogar mit dem Admiral von Senden, der bei allen