Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

74 DER ALTE HOF 
Franzosen erhob und den König und das ganze Land mit sich fortriß, in 
unvergänglichen Worten hat es Heinrich von Treitschke im ersten Band 
seiner deutschen Geschichte geschildert, stand der ostpreußische Adel 
voran. UnvergeBlich sind die schönen Verse, die Max von Schenkendorf in 
seinem „Lied von den drei Grafen‘ den ersten Opfern im Heiligen Kriege, 
den Grafen Kanitz, Dohna und Gröben, gewidmet hat. Unser langjähriger 
Botschafter in St. Petersburg, General von Schweinitz, pflegte zu sagen, 
daß jeder preußische König „seinen Ostpreußen‘ gehabt hätte. Einer der 
treuesten Paladine unseres alten Kaisers war sein langjähriger Adjutant, 
der bei Königgrätz und bei Gravelotte an seiner Seite ritt, Graf Heinrich 
Lehndorff. Der hochgewachsene Mann mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart, wie 
man damals sagte, war eine der stattlichsten Erscheinungen des preußischen 
Hofes. Die Sage ging, daß er in seiner Jugend viele Herzen gebrochen habe. 
Als älterer Mann heiratete er die schöne Gräfin Margarete Kanitz, mit der 
er in glücklichster Ehe lebte und die ihm unter drei Kindern einen unge- 
wöhnlich begabten Sohn schenkte, der für die Diplomatie bestimmt 
wurde, der eine große Zukunft vor sich sah, als er im Weltkrieg vor der 
Front der Gardekürassiere fiel. Der Vater, Graf Heinrich Lehndorff, hatte 
mit unendlichem Takt und unbedingter Loyalität die amtlichen und per- 
sönlichen Beziehungen zwischen dem alten Kaiser und dem Fürsten Bis- 
marck betreut. Männer wie Graf Lehndorff, General von Lindequist, Graf 
Fritz und Graf Louis Perponcher, General von Albedyll, Graf Stillfried, 
Graf Pückler, General Graf Alten, Fürst Anton Radziwill, Gencral von 
Steinäcker und manche andere gaben dem alten Hof sein vornehmes Ge- 
präge. Graf Heinrich Lehndorff hatte auch in politischen Fragen ein gutes 
und scharfes Urteil. Ich werde es mir immer zur Ehre anrechnen, daß dieser 
im besten Sinne des Wortes noble Mann mir in meiner Jugend ein freund- 
licher Gönner und in späteren Jahren ein gütiger Freund war. Die segens- 
reiche Rolle, die Graf Heinrich Lehndorff am Hofe des alten Kaisers ge- 
spielt hatte, war bei seinem Sohn, dem damaligen Kronprinzen und spä- 
teren Kaiser Friedrich, dem Grafen August Eulenburg zugedacht gewesen. 
Dieser war schon in jungen Jahren als Hauptmann im 1. Garderegiment 
zu Fuß dem Kronprinzen als Adjutant zugeteilt worden. Als sein Vorgänger, 
Major von Schweinitz, der spätere Botschafter in Petersburg, durch Eulen- 
burg abgelöst wurde, beschwor er die Frau Kronprinzessin, eich in ein 
möglichst freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis zu Eulenburg 
zu stellen: einen besseren Führer und Berater im Labyrinth der Berliner 
Intrigen wie gegenüber den Problemen und Rätseln der Politik als den 
Grafen August Eulenburg werde sie schwerlich finden. Eine Zeitlang ging 
es; dann ließ sich die hochbegabte, aber impulsive und dabei doch wieder 
naive Frau von ihrem Kammerherrn, dem Grafen Seckendorff, gegen
	        
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