Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE BÄRENINSELN 8l 
Seiner Majestät nicht, daß mir finanzielle Spekulationen mit dem König 
von Belgien nicht besonders zusagten. Ich hätte in dieser Beziehung viel- 
leicht antiquierte Anschauungen, aber für Könige und jedenfalls für den 
König von Preußen paßten sich solche Unternehmungen meines Erachtens 
nicht. Was aber Kreta anginge, so hätten wir allen Grund, unsere Finger 
aus dieser Pastete herauszuhalten. Wir hätten im Mittelmeer nur sekundäre 
Interessen. Was aus der Insel des Minos würde, könnte uns ziemlich 
gleichgültig sein, darüber möchten sich Russen und Engländer, Türken und 
Griechen streiten. Ein deutscher Gouverneur für Kreta wäre für uns eine 
Last und eine Verlegenheit, nicht eine Freude oder Auszeichnung. 
Mit schon etwas enttäuschter Miene kam der Kaiser jetzt mit seinem 
zweiten und wichtigeren Vorschlag heraus. Philipp Eulenburg babe ihm 
einen exzellenten Gedanken übermittelt, den ein vielgereister württem- 
bergischer Herzog von Urach zuerst gehabt hätte. Der betreffende Herzog 
war derselbe Urach, der während des Weltkrieges der Kandidat des Herrn 
Erzberger für den litauischen Thron war. Zwei Jahrzehnte vorher suchte 
er die Aufmerksamkeit des Kaisers auf die Bäreninseln zu lenken, kleine 
Inseln im Nördlichen Eismeer, nördlich von Spitzbergen, kaum 600 qkm 
groß. Sie waren am Ende des sechzehnten Jahrhunderts von dem hollän- 
dischen Seefahrer Willem Barents entdeckt worden, der versucht hatte, 
durch das Nördliche Eismeer nach China zu gelangen. Urach behauptete, 
und Phili glaubte, daß die Bäreninseln gewaltige Steinkohlenlager ent- 
hielten. Phili hatte nun Seiner Majestät den Vorschlag gemacht, wir möchten 
die Bäreninseln, die res nullius zu sein schienen, rasch okkupieren und sie 
dann den Russen als Kompensation für den von uns in China gewünschten 
Hafen anbieten. Der Kaiser hatte schon dem Admiral von Senden Weisung 
gegeben, ein Schiff bereitzuhalten, das auf telegraphische Order die Fahrt 
nach den Bäreninseln anzutreten haben würde. Als ich dieses Projekt, das 
die drei skandinavischen Nationen sicherlich beunruhigen würde, England 
und Rußland leicht verstimmen könnte, als unpraktisch und dabei phan- 
tastisch ablehnte, geriet der Kaiser in Erregung. Das hätte er nicht er- 
wartet, als er mich berufen, ja sich nach mir als Minister gesehnt hätte. 
Er hätte angenommen, wir würden uns in allem verstehen. Das Gegenteil 
scheine der Fall zu sein. Ich wäre ja absprechender und schwerfälliger 
gegenüber neuen Gedanken als Marschall, über den er sich genug geärgert 
hätte. Das ließe er sich aber nicht gefallen. Ich fühlte, daß mein ganzes 
zukünftiges Verhältnis zum Kaiser, die Möglichkeit eines für das Land er- 
sprießlichen Zusammenwirkens mit ihm und damit nach Lage der Verhält- 
nisse ein gutes Stück unserer politischen Zukunft davon abhinge, jetzt 
nicht die Nerven zu verlieren, sondern fest zu bleiben. Ich hatte die Emp- 
findung, die mich als jungen Husarenleutnant erfüllte, wenn ich bei einer 
6 Bülow I 
Eine Idee des 
Herzogs von Urach
	        
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